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Prof. Landmann im Gespräch mit dem Zunehmenden Grenznutzen über die bevorstehenden Berufungskommissionen, eine keynesianische Renaissance in den USA und die Möglichkeit das Denken von Studenten zu verändern

Das Interview führten Johannes Vatter und Christoph Breuninger

ZG: Sehr geehrter Herr Professor Landmann, wir freuen uns sehr, dass wir auch Sie für unsere Reihe „Professoren im Gespräch“ gewinnen konnten. Sind Sie mit dem vergangenen Semester zufrieden?

Landmann: Ob das Semester gut gelaufen ist, müssen Sie die Studenten fragen. Ich für meinen Teil beurteile eine Vorlesung erst, wenn die Klausuren korrigiert sind.

ZG: Kommendes Semester werden sechs Lehrveranstaltungen von Ihrem Institut angeboten. Die Hälfte davon wird von externen Professoren durchgeführt. Ist dieses reichhaltige Lehrangebot den Studiengebühren zu verdanken?

Landmann: Natürlich. Die Fakultät verwendet Gebühren in großem Umfang dazu, geeignete Gastdozenten einzuladen und das Lehrangebot zu bereichern. Ich halte das für eine sehr produktive Verwendung der Mittel.

ZG: Wenn Sie regelmäßig diese Anzahl von Lehrveranstaltungen anbieten und dazu noch weitere Veranstaltungen zu organisieren haben, bleibt bei diesem Lehrbetrieb überhaupt noch Zeit für die Forschung?

Landmann: Gute Frage. Sehr berechtigte Frage. Jedenfalls nicht während des Semesters. Und es ist ja nicht nur die Lehre: Wenn wie jetzt in naher Zukunft drei, vier Berufungskommissionen gleichzeitig laufen, wenn Fakultätsgremien tagen, ich zusätzlich noch für die Akkreditierung des Masterprogramms beansprucht werde, sind das alles zeitaufwendige Prozesse. Man hofft dennoch darauf, dass sich zwischen den Semestern ein kleines Zeitfensterchen öffnet, um die Stapel, die sich auf dem Schreibtisch aufgetürmt haben, endlich anzugehen. Das Lesen, sich Vertiefen, Forschen und Schreiben, was für einen Professor eigentlich Hauptbeschäftigungen sein sollten, finden immer weniger Raum.

ZG: Sie sprachen über die vier Berufungskommissionen, was erhoffen Sie sich für die Fakultät?

Landmann: Berufungen sind unter allen Fakultätsgeschäften die wichtigsten Weichenstellungen. Hier ergibt sich immer eine große Chance für eine Fakultät, denn jede Berufung bedeutet Verjüngung, Belebung, neuen Wind und neue Ideen. Nur durch Neuberufungen bleibt der Kontakt der Fakultät zur rasch voranschreitenden Forschungsfront auf die Dauer gewahrt. Es geht gar nicht anders als über die Verjüngung. Da ich inzwischen selbst einer der Älteren bin, kann ich das so sagen.

ZG: Ihre Lehre wird von der Mehrzahl aller Studenten als sehr angenehm und spannend empfunden. In Anbetracht des hohen Niveaus Ihrer Klausuren sind Sie relativ beliebt. Können Sie sich das erklären?

Landmann: Ich stelle Ansprüche, das ist schon wahr. Die Akzeptanz dafür erreicht man dadurch, dass man dieselben Ansprüche an sich selbst stellt. Ich bin mir im Klaren darüber, dass meine Vorlesungen bei den Studierenden manchmal viel Zeitaufwand verursachen, aber das liegt weniger an meiner Person als an meinem Fach. Theorie zu studieren ist zeitaufwendig.

ZG: Wenn man den Lauf der Welt als das Aggregat von zyklischen Prozessen begreift, Sommer und Winter, Freude und Trauer, Tag und Nacht, Strom kein Strom, ist es nicht das Normalste auf der Welt, dass auch die Wirtschaftsleistung einer Gesellschaft gewissen Schwankungen unterworfen ist?

Landmann: Schon. Nur werden die Schwankungen nicht durch die Rhythmen der Natur oder unserer Seele verursacht. Zweihundert Jahre Konjunkturbeobachtung haben uns viele gute Gründe geliefert, warum die wirtschaftliche Entwicklung nicht stetig verläuft. Wir sind aber ein gutes Stück weggekommen von der Idee regelmäßiger, symmetrischer Zyklen, die sich an eine gewisse Frequenz halten, wie es in der Physik häufig der Fall ist.

ZG: Die Zeitungen sind gegenwärtig wieder randvoll mit Analysen und Diskussionen zur wirtschaftlichen Entwicklung für die kommenden Monate, weshalb befassen sich die Menschen, Ihrer Meinung nach, hauptsächlich mit der kurzen Frist?

Landmann: Naja, die kurze Frist steht vor der Tür. Die lange Frist liegt fernab. Es ist viel leichter fassbar, was in den nächsten Monaten stattfinden wird, als was in zwanzig Jahren sein könnte.

ZG: Stört es Sie, dass durch den Aufschwung 2006/07 und die Kreditkrise der letzten Monate, alle „animal spirits“ wieder freigelegt wurden und niemand mehr über Strukturelles spricht?

Landmann: Ja, das stört mich schon, aber es überrascht mich nicht mehr. Ich versuche zwar in meinen Vorlesungen, den Gedanken in die Köpfe der Studenten einzupflanzen, dass man für strukturelle, langfristige Entwicklungen und für die kurzfristigen konjunkturellen Trendabweichungen ganz unterschiedliche Modelle zu Rate ziehen muss. Die Illusion, dass man der Öffentlichkeit oder gar der Politik diese Unterscheidung beibringen kann, habe ich aber schon längst verloren. Jedes Mal, wenn die Konjunktur rund läuft, denken die Menschen, jetzt ist die große Trendwende geschafft; und jedes Mal erscheint im nächsten Abschwung wieder alles hoffnungslos und der Kapitalismus am Ende. Die Menschen haben die Tendenz, die Situation, die sie im Moment vorfinden, zu extrapolieren und als das Normale anzusehen. Wenn man sich aber ausreichend lange mit Konjunkturforschung beschäftigt hat, erliegt man dieser Versuchung nicht mehr.

ZG: Lassen Sie uns zum Urknall ihrer Disziplin zurückwandern. Milton Friedman kritisierte das staatliche Verhalten während der großen Depression. Aus seiner Sicht hätte geldpolitisch sehr viel aktiver eingegriffen werden müssen, um die Krise zu verhindern. Worin besteht nun der Unterschied zu der Keynes’schen Analyse?

Landmann: In der Diagnose der großen Depression liegen die beiden nicht allzu weit auseinander. Friedman hat Jahre nach der Krise im Wesentlichen die Geldpolitik verantwortlich gemacht, und Keynes hat schon Jahre vor der Krise Abhandlungen geschrieben und letztlich dasselbe bereits damals kritisiert. Da waren sie weitgehend auf einer Ebene. Sie unterscheiden sich jedoch in vielen anderen Aspekten. Die Vision, wie eine Marktwirtschaft langfristig funktionieren kann, ist jeweils eine völlig andere. Friedman hatte einen unerschütterlichen Optimismus, den Keynes nie geteilt hätte. Auch was die Vorstellung vom Politischen betrifft, liegen beide an den entgegengesetzten Enden des Spektrums. Keynes’ Lehre kann in der Tradition Platons angesiedelt werden, nach dem Motto, die besten müssen ans Ruder und die werden die Dinge schon richten. Es war also noch das Vertrauen da, dass wenn man intelligente Leute an die Spitze stellt, auch etwas Intelligentes dabei heraus kommen muss. Friedman hat sich den Prozessen, denen Politik untergeordnet ist, mit einem großen Misstrauen und einem gewissen Zynismus angenähert. Sein Vertrauen in die Fähigkeit der Politiker, etwas zum Wohle der Menschen zu bewirken, war nahe null. Und dementsprechend sahen dann eben auch die Theorien aus. Geldmengenregel, Budgetausgleichsregeln usw. sind alle darauf ausgerichtet, die Spielräume für Politiker, Schaden anzurichten, möglichst zu begrenzen. Hier liegen die Unterschiede zwischen Keynes und Friedman und weniger in der technischen Analyse der großen Depression oder allgemeiner Konjunkturverläufe.

ZG: Milton Friedman war ein begnadeter Rhetoriker…

Landmann: Keynes auch.

ZG: … sicher, das ist wohl unbestritten, aber was hat mehr zu ihrem Erfolg beigetragen, ihr unwiderstehliches Charisma oder die Brillanz der Theorien?

Landmann: Schwierige Frage. Wahrscheinlich beides. Es gibt ja immer wieder charismatische Wissenschaftler, die aber keine brillante Theorie entwickelt haben. Die glänzen einen Moment, sind populär bei den Medien, geraten dann aber recht schnell in Vergessenheit. Dann gibt es fantastische Theoretiker, die sich aber sehr schlecht verkaufen, und sich meist auch nicht darum kümmern. Die haben es dann oft schwer, Beachtung zu finden und schaffen den Durchbruch manchmal erst nach Jahrzehnten. Friedman und Keynes waren Stars, bei denen die Brillanz der Ideen und die Brillanz der Rhetorik zusammentrafen. Das macht wohl ihre Größe aus.

ZG: Friedman hat vielen Menschen glaubhaft gemacht, dass Politiker nicht im Sinne der Gesellschaft handeln können, hat aber für sich als Wissenschaftler wahrscheinlich genau diesen Anspruch gehabt, oder nicht? Ist das nicht ein Widerspruch?

Landmann: Zunächst einmal war Friedman ja nie in der Politik tätig und hat z.B. seine Geldmengenregel nie selbst erprobt. Allerdings hat er Politiker beraten, wofür er zum Teil heftig kritisiert wurde (A.d.R.: M. Friedman traf sich Mitte der 70er Jahre mit Augusto Pinochet). Worum es Friedman eben ging, war, die diskretionäre Entscheidungsgewalt des Politikers zu beschränken. Wenn dieser am Morgen aufwacht und zu dem Entschluss kommt, jetzt sollten wir sofort X machen, weil X gerade populär ist, sollten wir ihn dann X wirklich machen lassen? Oder sollten wir nicht vielmehr darüber nachdenken, welche Regeln wir etablieren müssen, um langfristig eine erwünschte Performance der Politik zu erreichen, anstatt uns deren spontanen Launen auszusetzen. Das ist eine sehr wertvolle Überlegung. Zu diesen Themen haben wir mit den Konstitutionenökonomen ja die Fachleute in der Fakultät. (Vgl. Gespräch mit Herrn Prof. Vanberg)

ZG: Wie es scheint kam diese Botschaft aus Chicago aber nicht besonders weit, zumindest nicht bis Washington. Eine der letzten bedeutenden wirtschaftspolitischen Amtshandlungen des amerikanischen Präsidenten ist die Auflage eines 150 Mrd $ Konjunkturprogramms. Gleichzeitig versucht Herr Bernanke die Suppe seines Vorgängers auszulöffeln und lässt aufgeregt die Zinsen fallen, wie der Ballonfahrer die Sandsäcke. Was kommt auf die Vereinigten Staaten zu, 7% Arbeitslosigkeit oder 7% Inflation?

Landmann: (schmunzelnd) Eigentlich haben wir ja gelernt, dass dieses nicht die Alternative ist. Nein im Ernst, Amerika ist eindeutig auf dem Weg in eine Rezession. Wie sich die Situation genau entwickelt, bleibt abzuwarten, aber viele Indikatoren deuten darauf hin. Nun versuchen beide Zweige der Makro-Politik entschieden, diesem Gewitter auszuweichen. Dabei ist nicht nur bemerkenswert, dass dies überhaupt geschieht, sondern auch, wie schnell die Politik reagiert. Das ist antizyklisches Handeln par excellence, Keynesianismus pur! Die Maßnahmen kommen wahrscheinlich zu spät, um den Abschwung gänzlich zu verhindern, aber sie werden sicherlich die Tiefe und die Dauer der bevorstehenden Delle mildern.

ZG: Während die USA ein keynesianisches Feuerwerk zünden, ohne großen Widerspruch der ökonomischen Zunft, spricht in Deutschland mit Ausnahme von Herrn Bofinger seit 10 Jahren kein prominenter Ökonom mehr von aktiver Konjunkturpolitik. Entweder die USA und wir befinden sich auf unterschiedlichen Planeten oder eine Seite irrt gewaltig. Was denken Sie?

Landmann: Vielleicht leben wir in der Tat auf verschiedenen Planeten. Die Amerikaner besitzen eine relativ unideologische, pragmatische Einstellung zur Konjunkturpolitik. In der Wissenschaft besteht dort im Grunde ein weitgehender Konsens über die jeweiligen Maßnahmen, die nötig sind. Bei uns läuft eine ideologisch verbohrte Debatte, bei der man sich entweder an einer konservativen Orthodoxie orientiert, die sich ganz allein den strukturellen Reformen verschrieben hat und jede Nachfragepolitik verwirft, oder einer „links-keynesianischen“ Minderheit angehört, die meint, alles von der Nachfrageseite her regeln zu können. Das Feld dazwischen, in dem eigentlich die Vernunft zu Hause ist, ist praktisch unbesetzt. Das ärgert mich manchmal gewaltig. Talkshows zu solchen Themen sind eine Tortur.

ZG: Glauben Sie, dass es die Neue Neoklassische Synthese irgendwann doch schafft, über den Atlantik nach Europa zu schwappen?

Landmann: Ich würde sagen, zu einem Teil ist sie bereits angekommen, denn der Europäischen Zentralbank betrifft, die ja zu der wichtigsten europäischen Schaltstelle für Konjunkturpolitik geworden ist, kann man keine großen Vorwürfe hinsichtlich ihrer Politik machen. Die EZB ist vielleicht etwas vorsichtiger, als es die Amerikaner sind. Aber im Grunde handelt man auch hier im Sinne der Neuen Neoklassischen Synthese, die ja eine Balance von niedriger Inflationsrate und stabiler Konjunktur anstrebt. Schwieriger ist es im Bereich der Finanzpolitik, wo über Jahre einfach viel aus dem Ruder gelaufen ist und (oft unter dem Deckmantel keynesianischer Politik) große Schulden angehäuft wurden. Die USA waren da in einer komfortableren Situation. Man darf nicht vergessen, dass der Haushalt am Ende der Clinton-Administration ausgeglichen war. Es gab relativ viel trockenes Pulver, das seither allerdings auch wieder ziemlich leichtfertig verschossen wurde.

ZG: Nehmen wir den konjunkturellen Aufschwung der letzten beiden Jahre in den Blick. Es lassen sich verschiedene Erklärungsvariablen für die Dynamik ausmachen: Die niedrigen Zinsen in den Jahren 2003-2005, strukturelle Reformen am Arbeitsmarkt und bei den Steuern, die solide Weltkonjunktur, die Zurückhaltung der Tarifparteien, die Innovationskraft deutscher Unternehmen, manche behaupten sogar die Euphorie der Fußballweltmeisterschaft. Wie würden Sie die einzelnen Komponenten gewichten?

Landmann: Die Fußballweltmeisterschaft können Sie vergessen. Eine euphorische nationale Gemütslage macht noch keine Konjunktur. Alle anderen Faktoren haben natürlich eine wichtige Rolle gespielt, insbesondere die Weltkonjunktur.

ZG: Heißt das, was in den Köpfen der Menschen passiert, ist für die Konjunktur nicht allzu entscheidend?

Landmann: Das kann man so nicht sagen. Für die Konjunktur ist sehr relevant, was sich in den Köpfen derjenigen Menschen abspielt, die Investitionsentscheidungen treffen; und da gibt es Spielraum nicht nur für Rationales, sondern auch für „animal spirits“ und Herdentrieb.

ZG: In Deutschland hatten wir nun über zehn Jahre „supply-side-economics“. Ihr Kollege Rürup sieht die deutsche Wirtschaft heute in einem sehr viel gesünderen bzw. robusteren Zustand als vor knapp zehn Jahren, während des letzten Aufschwungs. Wie glauben Sie hat sich die natürliche Rate der Arbeitslosigkeit in diesem Zeitraum entwickelt?

Landmann: Das ist schwer zu sagen. Die große Frage, wie viel die Reformen auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich bewirkt haben, kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht zuverlässig beantwortet werden. Das werden wir erst wissen, wenn wir einen Konjunkturzyklus weiter sind. Nur erleben wir im Augenblick ja, dass Teile dieser Reformen wieder zurückgedreht werden. Das ist nicht nur schade, weil es beschäftigungspolitisch in die falsche Richtung geht, sondern auch, weil es uns Makroökonomen das Experiment kaputt macht.

ZG: Kenneth Rogoff meinte vor kurzem auf Spiegel-Online: „…Germany would just have to flex its muscles a little to achieve growth rates of four to five percent in the coming years and turn itself into an economic miracle, as it did in the 50s and 60s…” Dafür seien aber weitere Reformen auf dem Arbeitsmarkt und im Bereich der Hochschulen notwendig!

Landmann: Das erscheint mir etwas übertrieben zu sein, denn die Ausgangslage ist heute ja eine andere als in den 50er Jahren. Aber dass in Deutschland viel Potential schlummert, das in den letzten Jahrzehnten durch jede Menge falscher Wirtschafts- und Sozialpolitik erstickt worden ist, ist zweifellos richtig.

ZG: „Das erreichte nicht Verspielen“ – ist der hingegen sehr konservative Titel des aktuellen Jahresgutachtens, wovor würden Sie warnen?

Landmann: Ich würde davor warnen, das zurückzudrehen, was von der Schröder-Regierung an Reformen auf den Weg gebracht wurde. Hände weg von Mindestlohn und einer weiteren Abschottung der Märkte.

ZG: Lassen Sie uns in die lange Frist übergehen. In makroökonomischen Lehrbüchern wird bekanntlich streng nach dem Zeithorizont der Analyse unterschieden. Trotz zweier Anläufe Keynes und die Neoklassik zu versöhnen (alte und neue neoklassische Synthese), bleibt ein zentraler Widerspruch bestehen. Nach Solow befinden sich die meisten Ökonomien im dynamisch effizienten Bereich und könnten mit höheren Sparquoten zu noch mehr Wohlstand gelangen. Gleichzeitig lehrt uns Keynes, dass uns in der kurzen Frist nichts Schlimmeres passieren kann als eine Erhöhung der Sparquote. Wie lösen Sie dieses Paradoxon?

Landmann: Das ist kein Problem. Eine Erhöhung der Sparquote bedeutet kurzfristig Nachfragerückgang. Eine Erhöhung der Sparquote bedeutet langfristig mehr Kapitalakkumulation. Die Kunst besteht darin, dass Konsumverzicht tatsächlich effektiv zu mehr Kapitalbildung und nicht zu einer Rezession führt. Wenn eine Gesellschaft sparsam ist, muss eben die Geldpolitik dafür sorgen, dass die Nachfrage nicht zusammenbricht. Sehen sie, wenn mehr gespart wird, führt dies zu einem Rückgang des natürlichen Zinses, und diesem Trend müssen die Leitzinsen folgen, dann kommt es nicht zu einem Nachfrageausfall, sondern es tritt das ein, was uns Solow lehrt. Das können sie alles schon bei Keynes 1930 nachlesen.

ZG: Wie steht es mit der Sparquote in Deutschland – zu hoch oder zu niedrig?

Landmann: Naja, Deutschland ist eine offene Volkswirtschaft. Eine Erhöhung der Sparquote würde in erster Linie zu höheren Exportüberschüssen führen, was jetzt nicht unbedingt das Dringendste ist. Was Deutschland nötig hat, ist die Pflege des Investitionsstandorts. Hier ist die Ordnungspolitik mehr gefordert als die Makro-Politik.

ZG: Solow selbst schaut sehr optimistisch in die Zukunft. Bei einer Jubiläumsveranstaltung am MIT prognostizierte er vor wenigen Jahren eine Wiederholung des ökonomischen Erfolges der letzten 50 Jahre für die Vereinigten Staaten. Aber auch China und Indien sind auf den Geschmack gekommen. Glauben Sie, dass es 2050 noch Lebewesen in den Ozeanen geben wird, oder wird dieses Wachstum durch Biokartoffeln und Windräder zu Stande kommen?

Landmann: Der Optimismus speist sich eigentlich aus zwei Quellen. Zum einen erleben wir enorme technologische Umwälzungen, und zum anderen werden in den kommenden Jahrzehnten hunderte Millionen Menschen in die globalen Märkte integriert. Indien und China als flag posts bedeuten alleine bereits eine Zunahme von zwei Milliarden Personen, die sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite aktiv sein werden. Ob wir diese Wachstumspotentiale ausschöpfen können, ohne unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören, ist eine Frage, die einen schon skeptisch stimmen kann. Denken sie nur an die Motorisierung in Asien, für jeden Chinesen ist ein eigenes Fahrzeug das große Konsumziel. Was das bei 1,3 Mrd. Menschen heißt, können sie sich selbst ausrechnen. Im Jahr 2050 wird man nur noch müde lächeln, wenn man daran denkt, dass sich in Deutschland eine kleine Partei einmal fast aus der Landschaft katapultiert hat, weil sie 5 Mark pro Liter Benzin propagiert hat.

ZG: Wenn Sie sich anschauen, was in China derzeit vorgeht, freuen Sie sich über den neuen Wohlstand, der sich über Teile der Bevölkerung ausbreitet, oder trauern Sie mehr über die massive Zerstörung von Natur und Umwelt?

Landmann: Beides. Aber zunächst ist klar, dass sich der Wohlstand bislang eher entlang der Küstenregionen konzentriert. Da stehen die Chinesen vor einer gewaltigen Herausforderung, mit diesen wachsenden Diskrepanzen zwischen Arm und Reich, zwischen Ost und West, umzugehen. Dazu kommt dann noch das ökologische Dilemma. Ich habe aber den Eindruck, dass wenigstens in den Städten, wo die Umweltprobleme förmlich greifbar sind, das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs bereits ziemlich stark ausgeprägt ist. Es gibt Grund zur Hoffnung, dass nicht nur das Wachstum, sondern auch die Lernprozesse im Umweltbereich wesentlich schneller verlaufen werden, als sie in vergleichbaren Entwicklungsstadien bei uns stattfanden.

ZG: Wie sehr vertrauen Sie dabei auf die eigenständige Entwicklung der Volkswirtschaften und in wiefern sehen Sie globalen Regelungsbedarf?

Landmann: Natürlich, es gibt einen wachsenden globalen Regelungsbedarf. Gerade bei der Emissionsproblematik sprechen wir über globale Kollektivgüter par excellence. Es wäre naiv zu glauben, dass einzelne Volkswirtschaften Verantwortung übernehmen für diese Güter. Und es geht ja nicht nur um Umweltfragen. Die Welt ist ein Dorf, aber ein Dorf braucht eine Dorffeuerwehr und eine Dorfpolizei. Die haben wir nicht.

ZG: Wie sehen sie die Rolle von IWF und WTO in diesem Zusammenhang?

Landmann: Diese Institutionen müssen gestärkt werden. Auch die Uno wird eine viel stärkere Stellung bekommen müssen. Nur möglichst nicht von oben herab, sondern gewissermaßen von unten her, aus der Einsicht heraus, dass wir eben in vielen Fragen einen globalen Regelungsbedarf haben. Eine große Herausforderung dabei ist die demokratische Legitimation supranationaler Institutionen.

ZG: Betrachtet wir die monetäre Sphäre der Globalisierung. Die globalen Finanzmärkte haben eine unheimliche Komplexität erreicht. Währungen tanzen hoch und runter, die ungedeckte Zinsparität ist ein Phantom, jeden Tag werden neue Finanzprodukte entworfen und keiner scheint mehr durchzublicken. Sind unser Weltwährungssystem und die globalen Finanzmärkte in erster Linie flexible Effizienzbringer oder gefährliche Krisenherde?

Landmann: Die Globalisierung der Finanzmärkte ist zunächst einmal ein großer Segen und ein Wachstumsfaktor. Aber natürlich ist es durchaus so, dass von den Finanzmärkten auch immer wieder Störeinflüsse ausgehen, wie wir es im Augenblick ja erleben. Ich bin geneigt zu sagen, dass dies der Preis ist, den wir für die segensreichen Wirkungen der globalisierten Finanzmärkte zahlen. Aber natürlich offenbaren sich hier auch Regulierungsdefizite. Das ist eine schwieriges Feld, und man neigt bei Störfällen auch zu übertriebener Regulierung. Sehen sie, niemand zweifelt an der Zweckmäßigkeit unserer Verkehrsnetze. Straßen sind essentielle Adern unserer Volkswirtschaft, und wenn nun ein Horrorunfall auf der A5 passiert, dann fordert ja auch niemand, man müsse alle Autobahnen schließen.

ZG: Wie sähe ein Tempolimit von 130 h/km für internationale Finanzmärkte aus?

Landmann: Letztlich fehlt häufig ein effektives Risikomanagement. Das ist eine Frage, die sowohl die Ebene der einzelnen Finanzinstitutionen als auch die Regulierungsebene betrifft. In regelmäßigen Abständen gerät die Balance von Erträgen zu Risiken aus dem Blick, die Immobilienkrise ist dafür ja ein fabelhaftes Beispiel. Und da fragt man sich, wie sieht das Risikomanagement bei den einzelnen Finanzinstitutionen aus? Welche Rolle spielen Rating-Agenturen? Wie löst man die Anreizprobleme? … Das ist ein weites Feld.

ZG: In Ihrer Veranstaltung International Monetary Economics geht es im Kern um die Modellierung von Wechselkursentwicklungen. Bisher war es so gut wie keinem Ökonomen vergönnt, robuste Prognosen zu erstellen.
Unser Leserkreis ist bisher noch nicht allzu groß, trauen Sie sich den €-$ für den 1.August vorherzusagen. Wenn Ihre Schätzung weniger als 1% von dem aktuellen Wert abweicht, bekommen Sie von der Redaktion eine Flasche Ihringer Winklerberg – 2003er Riesling Spätlese trocken. Sollten Sie daneben liegen, veranstalten Sie einen Schumpeterleseabend in der Seminarbibliothek?

Landmann: Ich gebe die Wette heute bereits verloren. Sie könnten mir genauso gut einen Lottoschein auf den Tisch legen. Es liegt in der Natur des Marktes, dass zuverlässige Wechselkursprognosen nicht möglich sind, und ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich über magische Kräfte verfüge. Daher muss ich ihre Wette leider ausschlagen.

ZG: Wir können Sie wohl nicht aufs Glatteis führen, dafür eine letzte Frage: Was wollen Sie in ihrem Leben verändern?

Landmann: Ich weiß nicht, ob ich mir diese Frage auf diese Art schon mal gestellt habe; so viel kann man ja nicht verändern. Aber als Hochschullehrer hat man im Grunde eine einmalige Chance: Jedes Semester sitzen hunderte von hoffnungsvollen jungen Menschen vor einem, zum Teil freiwillig, zum Teil unfreiwillig. Das birgt die fantastische Möglichkeit, das Denken dieser Menschen zu verändern. Volkswirtschaft ist ein Fachgebiet, bei dem enorme Aufklärungsarbeit in breiten Teilen der Gesellschaft bitter nötig ist. Ich habe die Chance, über die Jahre verteilt einer großen Schar von jungen Leuten volkswirtschaftliches Denken beizubringen. Die denken am Ende des Studiums ganz anders als am Anfang. Das ist die größte Veränderung, die wir hier zustande bringen, und etwas, für das es lohnt, sich anzustrengen

 

ZG: Herr Professor Landmann, wir wünschen Ihnen ein spannendes Sommersemester und danken für das Gespräch.

Zehn Kommentierungen des Professors Landmann:

ZG: Die deutsche Staatsquote sollte gesenkt werden!

Viel wichtiger ist, was der Staat mit dem Geld macht!

ZG: Die Globalisierung ist ein Segen!

Ganz klar, ja!

ZG: Die WTO sollte auch Umweltaspekte in ihrem Regelwerk berücksichtigen!

Nicht unbedingt.

ZG: Der Klimawandel wird in seiner Bedeutung überschätzt!

Vielleicht, aber es wäre unvorsichtig, das als gesetzt zu akzeptieren.

ZG: Hartz IV hat zu einer Verbesserung des Status Quo geführt!

Ja.

ZG: Die Staatsverschuldung sollte drastisch gesenkt werden!

Sukzessive.

ZG: Es muss mehr Geld für bereitgestellt werden!

Bildung, wobei hier vieles auch besser eingesetzt werden könnte.

ZG: Es kann viel Geld im Bereich … eingespart werden!

Subventionen.

ZG: Die Ökonomisierung der Universität sollte weiter voran getrieben werden!

Wenn dies ein Mehr an Wettbewerb im Bildungswesen bedeutet, ja bitte.

ZG: Die Schweiz sollte der EU beitreten!

Wird sie bis auf weiteres nicht machen.

ZG: Das Handeln von Menschen ist im Kern von monetären Motiven bestimmt!

Nein.

Und die ZG-Polarfragen:

ZG: Bernanke oder Greenspan?

Das ist hammerhart! Das sind beides keine Sympathieträger, sondern Technokraten.

ZG: Beethoven oder Beatles?

Beethoven

ZG: Keynes oder Friedman?

Das sind unfaire Fragen. Na gut, Keynes, da er für meinen Werdegang wichtiger war.

ZG: Auto oder Zug?

Zug

ZG: Konsumieren oder Sparen?

Konsumieren.

ZG: Wein oder Sport?

Beides!

ZG: Steinbrück oder Merz?

Wenn das die Alternative ist: Merz.

ZG: Familie oder Karriere?

Familie.

ZG: Anleihen oder Optionen?

Optionen.

ZG: WTO oder ILO?

WTO.

ZG: Und während der EM: Schweiz oder Deutschland?

Schweiz natürlich, dumme Frage!

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