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Professor Rehkugler im Gespräch, Teil 3: Über das schwierige Verhältnis von Moral und Investition, Corporate Social Responsiblitiy und eine neue Wertorientierung

ZG: Lassen Sie uns noch etwas über nachhaltigere Themen sprechen. Die Frage nach der optimalen Investition hat Sie wahrscheinlich über Ihre gesamte Berufsdauer begleitet. Die Theorie und meist auch Praxis lehrt, dass man – wie bereits angeklungen – kaum schlauer sein kann als der Markt. Was wir manchmal unheimlich finden ist, dass sich trotzdem die ganze Welt Gedanken darum macht, wo die besten Renditen zu holen sind. Kaum jemand denkt hingegen darüber nach, was eigentlich mit dem Geld passiert? Denken Sie darüber nach was Ihr Vermögen in der Welt bewegt?

R: Es gilt zwei Typen von Kapitalgebern auseinander zu halten. Den, der ein langfristiges, nachhaltiges Verhältnis zu seiner Firma hat – ich nenne ihn den personalistischen Investor, und den, der im Grunde eben der freischwebende Kapitalist ist – ich nenne ihn den kapitalistischen Investor. Und es stellt sich heraus, dass wir auf unserer Welt den zweiten Typus mehr und mehr vorfinden, der im Grunde nur Geld in die Hand nimmt und dort hin trägt, wo es bei gegebenem Risiko womöglich die höchste Rendite einbringt. Dieser Typus von Investor hat keinerlei emotionale Beziehung zu der Firma und aus diesem Grund auch kein spezifisches über die Renditeforderung hinausgehendes Interesse, was mit dem Kapital geschieht. Nun gibt es zwar seit längerem einen starken Trend hin zu mehr ethischen Anlageformen und das ist wohl auch keine schlechte Geschichte, nur stellt sich dabei eben die Frage, was meint man denn damit? Geht es um das Produkt oder den Produktionsprozess? In den Katalogen zur Prüfung ethischer Geldanlagen ist ein übliches Kriterium die Einhaltung der Menschenrechte, also wenn die Firma direkt oder indirekt irgendetwas mit Menschenrechtsverletzungen zu tun hat, dann darf ich da nicht einsteigen. Soll ich eine Firma, die in China Geschäfte macht, aufgrund der heutigen Bedingungen meiden? Wenn ich radikal bin, könnten mir da ein paar Punkte einfallen. Oder soll ich nur Firmen meiden, die vielleicht in Thailand herstellen, wo ich vermuten kann, dass da vielleicht auch Kinder beschäftigt sind? Andere vermeiden Anlagen in bestimmten Branchen, die als ethisch angreifbar gelten. Also wenn einer alkoholische Getränke oder Tabakwaren herstellt, wäre das unethisch und darf nicht ins Portfolio und so weiter und so fort. Wenn man das so Punkt für Punkt durchgeht, bleibt nicht mehr viel übrig. Wenn sie sich z.B. Lidl ansehen, würde mich eher interessieren, ob wegen der negativen Presse die ganze Sache auf den Umsatz durchschlägt. Aber auch hier wird der Effekt wohl eher schwach sein, weil wir eben auch nicht konsequent sind, alle zusammen nicht. Wie viele haben jetzt ihr Nokia-Handy weggeschmissen? Oder ist ein Arbeitsplatzabbau überhaupt ein Fall, der darunter fällt? Insgesamt ist es für einen Ökonomen immer ziemlich schwierig, genau abzugrenzen, was unethische Verhaltensweisen sind.

ZG: Die grundlegende Frage, wenn es um Corporate Social Responsibility geht, ist doch aber, handelt es sich dabei um rein rationales Wettbewerbsverhalten im Sinne der Profitmaximierung oder hat das tatsächlich ein Stück weit mit Altruismus zu tun? Unsere Vorstellung ist, dass der Markt für eine nicht profitbegünstigende Betätigung von Unternehmen überhaupt keine Luft lässt. Die Moralisierung des Marktes findet also, wenn überhaupt, unter Zwang statt. Können Sie uns eine Aktiengesellschaft nennen, bei der Sie sagen würden, mit dieser juristischen Person würde ich mal ein Bier trinken, die ist mir wirklich sympathisch, da ist alles heile Welt, da investiere ich?

R: Heile Welt ist schwierig. Aber was ich glaube ist, dass es Unternehmer gibt in Form von natürlichen Personen, die von sich aus den Anspruch haben, einer bestimmten übergeordneten Werterelationen zu genügen. Je größer und anonymer Unternehmen werden, desto schwieriger wird es, das insgesamt durchzuhalten. Bei mittleren Betrieben mit ein paar Tausend Beschäftigten besteht durchaus noch eine Philosophie, die z.B. eine Beteiligung der Belegschaft am unternehmerischen Erfolg vorsieht, und zwar nicht, damit die Leute motivierter arbeiten und mehr Profit abfällt, sondern weil sie das als gesellschaftliche Grundidee sehen und sagen, wir wollen den Gewinn, den wir gemeinsam erarbeitet haben, auch fair verteilen. So etwas könnte man schon als Corporate Social Responsibility bezeichnen. Aber ich bleibe letztlich schon bei dem, was Sie gesagt haben. Die allermeisten großen Firmen werden derartiges nur aufgrund von Marktkräften machen, d.h. zum Beispiel unter Gefährdung der Umsatzzahlen.

ZG: Nun sind wir aber schon wieder bei den Konsumenten gelandet. Der Konsumdruck ist ja real und durchaus zu spüren. Nochmal zurück zu der Investitionsfrage: Wenn die Renditen bei „ethischen“ oder „ökologischen“ Anlagen sich nicht signifikant von jenen konventioneller Anlagen unterscheiden, heißt das ja letztlich, dass es keinen Trade-Off zwischen moralischer Anlage und Rendite gibt. Führt dies nicht zu der Schlussfolgerung, dass diese Minderheit von „moralischen“ Anlegern überhaupt keinen Effekt auf die faktische Kapitalallokation bewirkt? „Ethische“ Finanzierungsprojekte mit ebenfalls hohen Renditen werden doch von den Märkten ohnehin mit Kapital versorgt!?

R: Vorsicht! Also erstmal sind das die neueren Erkenntnisse, dass sich die Renditen gleichen. Wir haben lange Zeit in der Tat immer argumentiert, dass es in der Tat einen solchen Trade-Off gibt. Das heißt, man ging davon aus, dass man für ein gutes Gewissen schon auf ein paar Prozent Rendite verzichten musste. Bei diesem Spiel hat aber so gut wie keiner mitgespielt. Nur wenige verzichten bewusst auf eine höhere Rendite. Wenn jetzt die Ergebnisse sukzessive so sind, dass die Renditen etwa gleich hoch liegen, könnte man fragen, ja warum gehst Du überhaupt noch in die schmutzigen Papiere? Jetzt sehen Sie ja auch schon das Dilemma: Das ist natürlich ein Prozess, der sich selbst hervorruft. Denn wenn diese Papiere jetzt höhere Renditen einfahren, kann es genau daran liegen, dass sich die Nachfrage autokorrelativ verstärkt. Die wenigsten Untersuchungen schauen, ob die beiden Gruppen von Unternehmen (= ethisch mehr oder weniger vorbildliche) auf der operativen Ebene gleich viel verdienen.

ZG: Sie warnen also vor der großen Bubble im Segment der erneuerbaren Energien?

R: Also ein Crash steht nicht unbedingt bevor, aber es könnte sein, dass die eine Zeit lang überbewertet sind. Man muss die ganze Sache aber auch so sehen: Wenn man als Unternehmer vernünftig nachdenkt, kann man relativ vieles sehr ordentlich machen. Nur wenn man eben sagt, auf uns kommt es sowieso nicht drauf an, dann vernachlässigt man möglicherweise Menschenrechte oder schädigt die Umwelt oder all das, worauf es uns ankommt. Es gibt heute durchaus Möglichkeiten, als Unternehmer sehr ordentlich zu wirtschaften, ohne operative Nachteile in Kauf zu nehmen. Und was die Energie betrifft, da kommt der Druck zur Einsparung nicht zuletzt aus der gegenwärtigen Preisentwicklung.

ZG: Nochmal zugespitzt: Wenn man ein moralisch höchst zweifelhaftes Produkt produzieren will, das aber lukrativ erscheint, ist die Finanzierung doch das kleinste Problem. Weshalb nehmen so wenige Banken und Anleger ihre Verantwortung wahr?

R: Der entscheidende Punkt ist doch der, dass man beim Kauf einer Aktie viel zu weit weg ist von dem, was da wirklich passiert. Man will auch nicht dort sein. Man ist froh, weit genug weg zu sein.

ZG: Aber durch meine Mitfinanzierung wird das Wirklichkeit, was wir weltweit sehen!? Das heißt natürlich nicht, dass man nicht weltweit investieren sollte, aber eben kontrolliert!

R: So einfach ist das ja nicht. Also, ich kaufe für einen Tausender eine Aktie, sagen wir von irgendeiner Weltfirma. Und zwar deshalb, weil ich irgendwie gehört habe, dass die ganz gut laufen könnte. Glauben Sie da im Ernst, dass sich da jeder am Abend Gedanken macht, ob die auch korrekt machen? Anderes Beispiel: Wenn ich zwei Nachbarn finanzieren würde oder zwei mittelständische Firmen im gleichen Ort und ich würde bei der einen sehen, das ist ein Kotzbrocken, der gegen alles Mögliche verstößt, während der andere solide ist. Dann würde mir die Sache wahrscheinlich sehr leicht fallen. Aber gerade diese modernen Finanzierungsinstrumente entziehen im Grunde moralisch die Verantwortung, weil man fürchterlich weit weg ist von der ganzen Geschichte, weil man sagt, was habe ich denn eigentlich damit an der Backe, da fließt ja nur mein Geld hin, das weiß ich doch alles sowieso nicht genau, ich kann es auch nicht bei anderen überprüfen. Ich glaube, die Distanz ist schon der zentrale Aspekt.

ZG: In Anbetracht der Tatsache, dass fast alles heute über erhebliche Distanzen finanziert wird, ist das schon fatal, oder nicht? Dass man sich durch die Abstraktheit moderner Finanzdienstleistungen selbst entschuldigt, weil man nichts sieht, man nichts riecht. Und neben dem Geldgeber steht der Manager, der sagt, mir gehört das ja gar nicht, ich bin ja angestellt, ich hab nur meinen Job zu machen… Die Verantwortung bleibt auf der Strecke.

R: Das ist wohl so. Der kleine einzelne sich immer raus, erstens hat er sowieso keinen Einfluss mit seiner Geschichte und zum zweiten, er ist soweit weg, dass er es auch gar nicht beurteilen kann. Gehen Sie mal davon aus, dass man da auch über verbriefte Produkte redet, dann wissen Sie überhaupt nicht mehr, was Sie genau im Portefeuille haben. Sie kaufen dann nur noch Produkte und da steht nur noch eine Risikokorrelation darauf, das war‘s. Etwas anderes interessiert uns ja nicht mehr. Das muss man sehen und ich glaube, das ist ein Dilemma, aus dem kommt man nicht so leicht weg.

ZG: Punktsieg für Friedman: The Corporate Social Responsibility of a firm is to make profit!

R: Das ist das übliche, etwas überzogene Bild. Klassische Schule, der andere ist ein Schwein und hat überhaupt keine moralischen Konzepte. So stimmt es ja auch nicht. Also dann hätte es nie den guten Preußischen Beamten gegeben, der alles ordentlich und richtig gemacht hat, weil er so gelebt hat und weil er gemeint hat, so wäre es richtig. Ich meine, eigentlich gehen wir davon aus, dass die meisten Leute auf der Welt gläubig sind oder von sonst einer ethischen Wertvorstellung geprägt sind. Die gibt man auch nicht am Eingang einer Firma sofort ab. Aber als Unternehmer, oder eher als Manager muss ich schon rechtfertigen, wenn ich etwas Unprofitables anstelle. Nur nach Profit streben, damit hat er kein Problem, denn das erwartet jeder von ihm. Für wirkliche CSR bekommt der letztlich nichts, auch nicht indirekt. Warum sollte ich also noch mehr arbeiten für Sachen, die nicht beachtet werden. Aber das Zitat ist mir zu eindimensional. Das wäre viele empirische Studien wert: Wie groß ist das Unternehmen? Ist es privat geführt oder eines dieser abstrakten Moloche, die wir immer mehr haben, von dem auch keiner weiß, wem gehören die eigentlich?

ZG: Eine letzte Frage zu diesem Punkt. Wir sind vielleicht zu jung um zu beurteilen, ob es einen Trend gibt: Wenn Sie die Unternehmenskultur zur Zeit ihres Studiums mit der heutigen vergleichen, sehen Sie einen signifikanten Unterschied, oder ist es ein Mythos der allgemeinen Wirtschaftskritik, das sich der Kapitalismus zum Supercapitalism à la Robert Reich entwickelt hat?

R: Also in der Frage sehe ich zumindest keinen sehr positiven Trend. Aber der Druck wird kommen, weil die Bevölkerung als solche sensitiver gegenüber bestimmten Faktoren wird, insbesondere da, wo die Probleme erkennbar sind: Ressourcen, Lebensmittel. Aber im Hinblick auf die Unternehmenskultur, also dass die Denkweise sich gewandelt hätte, eher zum Negativen, gerade bei diesen immer dominanteren riesigen Institutionen, die letztlich keine von großen Unternehmerpersönlichkeiten geprägte und gelebte Wertorientierung mehr haben. Wo ist die heute noch? Da holt man bei Siemens einen, der das wieder alles richten muss, aber das ist doch nichts Nachhaltiges und wenn Sie die Leute alle fragen würden, die da vermutlich angeklagt werden, ich weiß nicht, wie viele da wirklich ein subjektives Unrechtsempfinden hätten.

ZG: Wenn Sie die Wahl hätten, welchem Unternehmen aus dem DAX würden Sie am liebsten vorstehen?

R: Also die DAX-Werte müsste ich jetzt einzeln durchgehen, aber mir fiele jetzt zumindest keines so positiv auf, dass ich sage würde, das ist der Schwan, der sich da heraushebt aus allen anderen – der weiße Rabe.

ZG: Umgekehrt gefragt: Mit wem würden Sie am wenigsten gerne tauschen von den Vorständen der DAX Unternehmen?

R: Das ist in der Tat eine andere Frage. Ich halte die Jobs im Grunde alle für reizvoll, so ist es nicht. Mmh… (denkt nach)

ZG: Rene Obermann?

R: Das ist natürlich hartes Brot, er kann wenige Meriten verdienen, aber immerhin, der hat alle Probleme, über die wir geredet haben, im Grunde nicht. Letztlich ist er ein armes Schwein, der mit der Privatisierung der Telekom in eine sehr schwierige Branche entlassen worden ist, mit einer unheimlich großen Zahl von Hypotheken. Auf der anderen Seite, würde ich mal sagen, der kann es eigentlich nur besser machen als zu erwarteten ist. (lacht) Von daher finde ich das jetzt auch nicht so besonders dramatisch. Die Automobilfirmen hingegen sind mehr oder weniger alle gut aufgestellt, interpretiert nimmt man ihr strukturelles Nachrennen dem Bedarf des Marktes nach benzinschluckenden SUVs nicht als ethisches Fehlverhalten wahr (s.o.). Das sind womöglich angenehme Jobs. Ich meine, der Weltmarkt ist in einigen Bereichen sehr hart und es kann relativ schnell mal runtergehen, aber an sich kann ich mir solch einen Job durchaus vorstellen. Bei Firmen wie Aldi oder Lidl sehe ich schon eher ein Dilemma, ich weiß nicht, ob ich dazu Lust hätte…

ZG: ..die witziger Weise Personengesellschaften sind…

R: Ja, aber deren Charakter hat jetzt weniger mit der Gesellschaftsform zu tun, sondern diese Gesellschaften – Sie können Schlecker noch dazuzählen – basieren auf einem Geschäftsmodell, das strukturelle Probleme aufwirft. Es basiert auf der Ausbeutung der eigenen Mitarbeiter und auf der Ausbeutung vieler Zulieferer. Das gibt es zwar im DAX nicht in diesem Ausmaß, aber Aldi könnte ja morgen an die Börse gehen, da würde sich nichts verändern.

ZG: Wie schön, dass sich unsere Fakultät mit Aldi-Recruiting-Plakaten schmückt: „Karriere ist eine Gerade!“

R: In mir würde es Unbehagen bereiten dort zu arbeiten, weil ich als Manager keine Idee hätte, wie ich da rauskomme. Halbwegs ordentliche Ware zu billigen Preisen anzubieten ist vom Geschäftsmodell ja nicht völlig abwegig, aber es wird sukzessive klar, womit das bezahlt wird.

ZG: Eine letzte Frage: Was wollen Sie in Ihrem Leben verändern?

R: Ich war schon sehr früh ein sehr politischer Mensch, habe allerdings diese Orientierung leider ein bisschen aus den Augen verloren. Ich komme eigentlich aus der alten Schule Willy Brandts. Wenn Sie meine frühen Veröffentlichungen ansehen, hat mich die Frage nach einer fairen Verteilung von Wertschöpfung immer am meisten interessiert. Ich träume immer noch von einer guten Mischung aus effizienter Marktwirtschaft und einem sehr fairen Umgang der Personen untereinander in einer Gesellschaft. Eben das, was soziale Marktwirtschaft ja eigentlich auch mal wollte, was aber natürlich immer eine Chimäre war, nur begrenzt verwirklicht wurde. Menschlichkeit und Effizienz weitgehend unter einen Hut zu bringen, dass es möglichst vielen möglichst gut geht, das ist das Traummodell. Persönlich kann man dieses natürlich nur schwer realisieren, aber man kann zumindest seinen Beitrag leisten.
Da gehört auch Enttäuschung dazu. Ich habe zwei Parteien hinter mir, von denen ich geglaubt hatte, sie würden genau in diese Richtung arbeiten. Ich bin bei beiden nicht sehr froh geworden… Wichtiger ist aber vielleicht, wie man seine tägliche Arbeit macht. Für meine Tätigkeit, denke ich, ist es das Wesentliche, dass man versucht, solche Ideen weiterzugeben. Ein Betriebswirt ist vielleicht inzwischen zu sehr dazu angelegt, zu viel Technik zu vermitteln und zu wenige Werte. Aber ich habe im Laufe der Zeit gemerkt, dass junge Leute eigentlich auf Wertorientierung warten. Das bisschen Technik, das man braucht, und die Instrumente, das kann man allemal lernen, aber die ganz Jungen sitzen doch vor einem und gieren nach Wertorientierung und ich glaube, wenn man irgendetwas als Professor tun muss, ist die Überbringung einer vernünftigen Wertorientierung.

ZG: Aber haben wir es bei Personen anfang 20 nicht mit mündigen Marktteilnehmern zu tun? Nach dem Gesetzbuch sind sie mehr als erwachsen…

R: Ja, ja, aber erwachsen sein und wissen, wo es im Leben hingeht, sind zwei verschiedene Dinge. Man freut sich doch über jeden, bei dem man merkt, der denkt auch so, und das bestärkt mich, dass ich in meiner Wertorientierung richtig liege, das gehört mit dazu. Wir sind ja eine Gesellschaft, die im Grunde die Wertorientierung, die man früher hatte, wenn man sie durch den Glauben mitbekommen hat, nicht mehr hat. Und die Frage ist, brauchen wir eine neue und woher soll eine andere kommen? Bisher haben wir keinen vernünftigen Ersatz der Wertorientierung etabliert. Mag sein, dass der Glaube immer eine große Chimäre gewesen ist, aber sie hat den Leuten zumindest einen gewissen Anhaltspunkt gegeben. Diesen gibt es heute so nicht mehr. Aber ich warne davor zu glauben, dass eine areligiöse Gesellschaft keine Wertorientierung mehr nötig hat, im Gegenteil, sie braucht eigentlich eine viel stärkere, weil sie sie sich selbst aus der Ratio entwickeln und bewahren muss. In diesem Punkt sehe ich mich als Aufklärer.

ZG: Das klingt nach einer Vision. Sie leben im liberalen und grünen, halb postmaterialistischen Freiburg. Sind Sie Optimist oder Skeptiker?

R: Letztlich bin ich doch ein radikaler Skeptiker. Ich fürchte, dass die Welt kein gutes Ende nimmt. Auf ganz langen Horizont gedacht, bin ich mir ziemlich sicher, dass Menschen als Kategorie auf der Welt eine sehr kurze Episode darstellen werden.

ZG: Dazu fällt uns nichts mehr ein. Herzlichen Dank für Ihre Zeit.

Das Interview führten Johannes Vatter und Wolf von Rotberg
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Zehn Statements von Professor Rehkugler:

ZG: Die Eigenkapitalquoten deutscher Unternehmen sollten ansteigen.
R: Dazu sehe ich keinen Anlass, sie sind inzwischen auf einem Niveau, das dem Kapitalmarkt angemessen ist.

ZG: Die Globalisierung ist ein Segen.
R: Ja, und ein Fluch.

ZG: Der Klimawandel wird in seiner Bedeutung überschätzt.
R: Keinesfalls, er wird die Gesellschaft und die Wirtschaft in massiver Weise beeinflussen.

ZG: Hartz IV hat zu einer Verbesserung des Status quo geführt.
R: Wessen? Als Gesamtmodell halte ich es für durchaus gelungen.

ZG: Die Staatsverschuldung sollte drastisch gesenkt werden.
R: Herr Böhmer von Sachsen-Anhalt hat es schön gesagt, wir sollten denen am ehesten etwas zurückgeben, die noch gar nicht geboren sind und denen wir schon viel weggenommen haben und das sind die Künftigen. Da stimme ich vollkommen überein.

ZG: Es muss mehr Geld für was bereitgestellt werden?
R: Bildung, Bildung, Bildung

ZG: Es kann viel Geld im Bereich … eingespart werden. (Sagen Sie nicht Subventionen)
R: In der Tat, ich hätte einige Subventionen genannt, da ich einige Arten der Sparförderungen für Humbug halte, weil sie zum Fenster rausgeschmissen sind. Aber ich meine, wir könnten uns im Militärbereich noch durchaus einige Einsparungen leisten.

ZG: Die Ökonomisierung der Universität sollte weiter vorangetrieben werden.
R: Ich bin immer für Ökonomisierung, wenn das effektives Management von Kapital bedeutet.

ZG: Die Kapitalgesellschaft ist neben der Eisenbahn eine der wertvollsten Erfindungen des 19. Jahrhunderts.
R: Jein, wir brauchen sie ganz dringend. Kapitalgesellschaften haben natürlich aufgrund ihrer Struktur die Folge der Agency Probleme, die wir nicht immer bewältigen können.

ZG: Wer den Shareholder-Value durch den Stakeholder-Value ersetzen will, hat den Kapitalismus nicht verstanden.
R: Richtig.

ZG: Das Handeln von Menschen ist im Kern von monetären Motiven bestimmt.
R: Das glaube ich nur sehr bedingt. Das wird sich in monetären Motiven in der Regel niederschlagen, aber die originären Motive sind nicht monetär.

Und schließlich die ultimativen ZG-Polarfragen:

ZG: Joseph Ackermann oder Götz Werner?
R: Ackermann

ZG: Beethoven oder Beatles?
R: Beethoven

ZG: Keynes oder Friedman?
R: Keynes

ZG: Growth oder Value?
R: Value

ZG: Auto oder Zug?
R: Zug

ZG: Personengesellschaft oder Kapitalgesellschaft?
R: Personengesellschaft

ZG: Wein oder Sport?
R: Wein

ZG: Konsumieren oder Sparen?
R: Sparen

ZG: Steinbrück oder Merz?
R: Steinbrück

ZG: Familie oder Karriere?
R: Familie

ZG: Anleihe oder Optionen?
R: Optionen