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Professor Fitzenberger im Gespräch über Motivation, bedingte Wahrscheinlichkeiten und Wege aus der Massenarbeitslosigkeit – 1. Teil

ZG: Herr Fitzenberger, sie sind einer der ausgewiesensten Arbeitsmarktökonomen in Deutschland. Lassen sie uns zunächst eine grundsätzliche Frage stellen. Warum arbeiten Sie?

Fitzenberger: Das ist nicht schwer zu beantworten. Ich interessiere mich für die Themen, mit denen ich mich beschäftige. Bereits als Abiturient habe ich mir das Berufsziel gesteckt, den Arbeitsmarkt in Deutschland zu verstehen und zu wissen, wie man Arbeitslosigkeit bekämpfen kann. Deshalb habe ich VWL studiert. Und da Ich meinen komparativen Vorteil in Mathematik und Statistik sah, habe ich mich dabei so quantitativ wie möglich ausgerichtet. Für mich ist es eine Berufung. Ich kann mir keinen schöneren Job vorstellen.

ZG: Gab es ein Schlüsselereignis für ihr frühes Interesse am Arbeitsmarkt?

Fitzenberger: Meine Entscheidung mich mit ökonomischen Fragestellungen zu beschäftigen steht sicher in Verbindung mit der Zäsur des Jahres 1973. Denken sie an die OPEC-Krise, das Sonntagfahrverbot, Club of Rome – nach zwei Jahrzehnten rauschenden Wachstums herrschte große Verunsicherung. Zum ersten mal stieg die Zahl der Arbeitslosen wieder über eine Million. Als Ende der 70er die zweite Ölkrise kam behandelten wir einfache keynesianische Modelle im Politik-Leistungskurs. Das hat mich fasziniert. Damit wollte ich mich weiter beschäftigen. Als ich als Jahrgangsbester bei einem Auswahlgespräch für die Studienstiftung erzählt habe, dass ich mich für diese Probleme interessiere und deshalb Professor werden wolle, wurde mir das vermutlich als nicht glaubwürdig attestiert und ich habe das Stipendium nicht bekommen.

ZG: Was hat sie mehr gewurmt, dass man ihnen vermutlich nicht geglaubt hat oder dass sie das Stipendium nicht erhalten haben.

Fitzenberger: Möglicherweise ersteres. In den USA ist die Kultur in diesem Punkt vollkommen unterschiedlich. Wenn man dort weiß, was man will, dann wird das positiv aufgenommen. In Deutschland muss man sich eher zurückhalten. Meine Zeit während der Promotion in den USA war so gesehen ein sehr befreiendes Erlebnis.

ZG: Die großen Arbeitsmarktprobleme lagen aber eher in Europa als in den Staaten.

Fitzenberger: Ja richtig, und ich hänge auch sehr an Deutschland. Also habe ich mir mein methodisches Rüstzeug in den USA angeeignet und bin zur Anwendung nach Konstanz an den Lehrstuhl von Wolfgang Franz zurückgekehrt.

ZG: Nun ist es ja so, dass eine derlei edle Motivation, wie sie sie für ihren Beruf empfinden, für den Arbeitsmarkt als ganzen eher untypisch ist…

Fitzenberger: Natürlich macht mir meine Arbeit auch sehr viel Spaß und sie wird obendrein gut bezahlt!

ZG: In Ordnung, sie haben Freude bei ihrer Arbeit und verdienen dabei gutes Geld…

Fitzenberger: Sie wollen wissen, warum die Mehrheit der Leute arbeitet?

ZG: Ja, das wäre spannend. Aber zunächst noch eine Frage: Im vergangenen Jahr erschien ein Artikel im Journal of Public Economics, der die Grenznutzenelastizität des Einkommens anhand sieben verschiedener Datensätzen im Querschnitt untersuchte (zum paper). Die Ergebnisse lagen im Mittel bei 1,25, d.h. jemand mit einem Einkommen von 10.000 € hätte demnach einen 12,5 mal höheren Grenznutzen des Einkommens als jemand, der bei gleichem Alter 100.000 € verdient. Stimmen diese Ergebnisse Ihrem persönlichen Empfinden überein?

Fitzenberger: Ich kann mit solchen Ergebnissen zunächst einmal wenig anfangen, da der Nutzen für mich nicht messbar ist. Wenn ich diese Ergebnisse auf die Grenzrate der Substitution mit der Freizeit, übertrage, hieße das ja, dass ich heute wesentlich mehr Freizeit konsumieren müsste. Im Grunde habe ich aber keine Freizeit, denn entweder arbeite ich, oder ich verbringe Zeit mit meiner Familie, was mich beides auf seine Weise glücklich macht. Insofern sehe ich den Zusammenhang in meinem Fall nicht.

ZG: Dennoch würden sie doch zustimmen, dass bei steigendem Einkommen, andere Dinge wie etwa der Aspekt der Selbstverwirklichung oder schlicht die Freude an der beruflichen Tätigkeit bei vielen Menschen wichtiger werden als das Einkommen selbst.

Fitzenberger: Sicher, das liegt auf der Hand. Es ist in meinem Fall auch klar, dass ich keine reine Einkommensmaximierung betrieben habe, sonst wäre ich womöglich nie nach Deutschland zurückgekehrt. Deshalb hat mir auch das Konzept der Maslow’schen Bedürfnispyramide immer sehr eingeleuchtet. Präferenzen sind nicht homothetisch.

ZG: Wie erklären Sie sich dann als Arbeitsökonom, dass in manchen Teilbereichen unseres Arbeitsmarktes das Handeln der Akteure trotz sehr hoher Gehälter weiterhin stark von dem Verlangen nach immer höheren Einkommen geprägt ist?

Fitzenberger: Ich halte dieses Phänomen partiell für eine Tautologie. Personen, die sehr hohe Einkommen beziehen, tun dies unter anderem, weil sie genau diesem Verlangen nach hohen Einkommen und damit Konsumnutzen unterliegen. Dementsprechend haben sie in ihre Karriere investiert.

ZG: Es ist also weniger das von Konkurrenz und Bonuszahlungen geprägte Arbeitsumfeld, sondern vielmehr eine frühe Selektion der Personen mit einem entsprechenden Motivationsmuster, die derartige Phänomene in den oberen Etagen der Wirtschaft hervorruft?

Fitzenberger: Ja, die Selektion ist eine mögliche Erklärung. Jemand mit stark ausgeprägtem monetären Verlangen wird sich in der Regel nicht mit einem Job als Waldarbeiter und der untersten öffentlichen Entlohnung zufrieden geben. Auch wenn er eigentlich den Vögeln zuhören und sein Leben genießen könnte. Wir sprechen über individuelle Heterogenität – mit das spannendste Thema der Mikroökonometrie – und können damit ohne weiteres den ursprünglichen Widerspruch der Frage auflösen.

ZG: Wenn man nun aber annimmt, dass bei steigendem Einkommen auch die Verantwortung einer Tätigkeit zunimmt, liegt dann nicht die Vermutung nahe, dass eine Art Fehlallokation von Arbeitskräften auf Arbeitsplätze vorliegt. Schließlich liegen zentrale politische oder betriebswirtschaftliche Entscheidungen dann in den Händen jener, die einen besonderen Hang zur Macht oder zum Geld besitzen. Bei gleicher Qualifikation würde ich die Entscheidung da doch lieber jemandem mit dem Gemüt eines Waldarbeiters überlassen oder jemandem wie ihnen, der die Motivation zu arbeiten an die Tätigkeit selbst und nicht so sehr an die Bezahlung knüpft.

Fitzenberger: Das sehe ich nicht so. Ich denke, dass die Anreizsteuerung über realwirtschaftliche monetäre Erträge im Kern sehr gut funktioniert. Da bin ich Marktwirtschaftler genug. Wollten wir zu einer Arbeitswelt gelangen, in der möglichst viele Menschen das tun, was ihnen am meisten Freude bereitet, würden wir den Anreizmechanismus außer Kraft setzen. Die Fülle an ehrenamtlicher Betätigung oder die Kompensation niedrigerer Löhne durch eine erfüllende Tätigkeiten mag es geben, aber die grundlegende Orientierung der privatwirtschaftlichen Produktion nach monetären Anreizen sind nach meiner Einschätzung Voraussetzung für unser hohes Wohlstandsniveau.

ZG: Wenn man sich den Niedriglohnsektor ansieht, wird in diesem Zusammenhang nicht etwas zu viel über monetäre Anreize gesprochen und zu wenig über Ausgrenzung, einen würdevollen Umgang mit den Beschäftigten und den Verlust von Arbeitsmoral?

Fitzenberger: Ich denke, ein großer Teil dieser Arbeitsplätze hat nicht diese nichtmonetären Benefits oder positiven Attribute. Es gibt sicher Ausnahmen, der Waldarbeiter-Job im Schwarzwald enthält sicher auch konsumptive Aspekte, aber die Mehrzahl der Niedriglohnjobs ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Insofern sind monetäre Anreize kaum zu überschätzen.

ZG: Das heißt, wir werden womöglich auch 2050 trotz des stetig ansteigenden Reichtums der Gesellschaft noch vor ähnlichen Problemen stehen? Massive Ungleichheit? Prekäre Arbeitsverhältnisse?

Fitzenberger: Das kann ich nicht seriös voraussagen. Fest steht, dass die Spreizung der Lohnstruktur seit den 90er Jahren deutlich zugenommen hat und dass wir heute mit 20-jähriger Verspätung einen Niedriglohnsektor wie in den USA haben. Und dieses Phänomen wird uns sicher auch noch einige Zeit begleiten. Ich sehe darin eine der Hauptaufgaben der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, diesen Niedriglohnsektor am Laufen zu halten und gleichzeitig die soziale Akzeptanz hierfür sicherzustellen. Ein exorbitanter Mindestlohn würde dieses Problem schlicht wieder in höhere Arbeitslosenzahlen umwandeln.

ZG: Sie sehen also ungeachtet der Höhe der Bezahlung keine Effizienzreserven im System die Akzeptanz solcher Tätigkeiten – und damit auch die Zufriedenheit der Beschäftigten – zu erhöhen.

Fitzenberger: Sicherlich gibt es Reserven, aber auch in anderer Hinsicht als Ihre Frage nahe legt. Diese Reserven haben etwas mit der Produktivität und damit indirekt mit der Entlohnung zu tun. Es muss dringend etwas getan werden, damit weniger Personen ohne Schulabschluss auf den Arbeitsmarkt kommen. Wir müssen das Verhältnis zwischen beruflicher und universitärer Ausbildung neu austarieren, das Konzept des lebenslangen Lernen muss weiter entwickelt werden, die Erwerbstätigenquote der Frauen muss weiter ansteigen, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist wichtig, die Anreize gegen die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer müssen abgebaut werden usw. Hier bestehen überall Reserven, die wir noch nicht nutzen, deren Nutzung uns der demographische Wandel jedoch aufzwingen wird. Mobilisieren wir diese Reserven nicht, werden wir nicht die Erwerbsbevölkerung haben, die wir in 15 Jahren dringend brauchen. Spätestens 2020 schlägt der demographische Wandel mit voller Wucht ein. Wenn wir es schaffen bis dahin diese Hebel umzulegen, besteht auch die Chance, die Arbeitsmarktsituation weiter zu verbessern. Hier gilt es ohne Dogmen anzupacken, denn gelingt es uns nicht, werden wir mit einer Vielzahl von Problemen zu kämpfen haben.

… Teil 2 folgt in wenigen Tagen.

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