Endlich ist es soweit, der gefräßige und verschwenderische Staat gibt einen Teil seiner Diebesbeute wieder an die fleißigen und konsumhungrigen Bürger zurück. Zu den in den Konjunkturpaketen I und II teils freiwilligen, teils vom Bundesverfassungsgericht erzwungenen strukturellen Mindereinnahmen von jährlich rund 25 Mrd. Euro (u.a. Entfernungspauschale, Steuerabzug bei Vorsorgeaufwendungen, Absenkung der Einkommensteuer, Beitragssatzsenkung GKV und Abzugsfähigkeit von Handwerkerleistungen) kommen jetzt noch einmal 8,5 Mrd. Euro pro Jahr hinzu. Das so genannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz bildet damit gewissermaßen die Sahnehaube der krisenbedingten fiskalischen Entschlackungstorte. Wenn alles gut geht, erleichtert sich der Staat in diesem Jahr strukturell um 33. Mrd. Euro (ca. 11 Prozent des Bundeshaushalts). Die automatischen Stabilisatoren gibt’s kurzfristig noch on top: Ein Traum in Schwarz-Rot und vor allem Gelb, eine fast hayek’sche Interpretationsart des deficit spendings!
Der oft beschworene und durchaus erstaunliche Trick dabei ist, dass man mit zunächst geringeren Einnahmen mittelfristig mehr Einnahmen kreiert. Um diese Idee zu verstehen, gilt es sich von den oft statischen Sichtweisen zu lösen und statt dessen dynamisch-freiheitlich an die Problematik heran zutreten. So macht der Koalitionsvertrag ganz deutlich: „Wir verstehen Steuerpolitik als Wachstumspolitik“. Und jenes durch geringere Steuerabgaben ausgelöste Wachstum wird, das ist inzwischen jedem klar, die breitangelegten Entlastungen von heute und sicherlich auch den Sozialausgleich einer möglichen Gesundheitsprämie abdecken können, genau wie die Erhöhung des Kinderfreibetrags und die Neufassung der Erbschaftssteuer „die unteren und mittleren Einkommensbereiche“ entlastet. Es handelt sich um nichts geringeres als die Erfindung der mehrdimensionalen Laffer-Kurve!
Verwunderlich nur, dass noch kein Finanzminister auf diesen klugen Fiskalzauber gekommen ist. Vielleicht hatte man den Bürgern eine wachstumsfreundliche Verwendung des zusätzlichen Nettos bislang nicht zugetraut. Es hilft uns ja doch nichts, wenn die Mittel über die Geldmarktkonten der Banken wieder in Bundesanleihen oder ausländische Direktinvestitionen fließen. Und auch überdimensionierte Elektronik aus Fern-Ost macht noch keine deutsche Konjunktur, so der skeptische Tenor. Aus heutiger Sicht sind derartige Vorgänge natürlich nicht mehr zu erwarten – das Menschenbild hat sich gewandelt. Zusätzliche Investitionen in nachhaltige Hotelkomplexe in Grenznähe, pädagogisch sinnvoller Familienkonsum, der millionenfache Absatz CO2 einsparender Qualitätsfahrräder aus deutscher Handarbeit – das alles wird endlich möglich sein. Die Leistungsträger der Gesellschaft werden sich zu neuen Leistungshöhen aufschwingen, schließlich hat sich der Grenzsteuersatz vielleicht um 1,239 Prozent reduziert. Die unerträgliche Anmaßung des Staates, vorzuschreiben was die Bürger zu konsumieren haben und was nicht, findet ein Ende.
Noch weitsichtiger erscheint das wachstumsorientierte Regierungshandeln im Hinblick auf den zweiten Schwerpunkt des Koalitionsvertrages, die Bildung. Trotz der präzise durchdachten Strategie und des dafür beanspruchten kurzfristigen Entzugs an Steuermitteln, will die Regierung bis 2013 immerhin zusätzlich 12 Mrd. Euro für Investitionen in Forschung und Bildung bereit stellen. Vor dem Hintergrund des derzeit mit jährlich lediglich 10 Mrd. Euro ausgestatteten Bundesministeriums für Bildung und Forschung ein kühner Plan. Verteilt auf vier Jahre entspricht dies doch immerhin einer Anhebung der Bundesmittel um 30 Prozent.
Bei dieser Gelegenheit ließe sich zwar fragen, wie die Länder und Kommunen, welche rund 90 Prozent der Bildungsausgaben tätigen, die reformbedingten Haushaltslöcher stopfen werden: Allein durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz drohen den Ländern und Gemeinden Steuerausfälle von insgesamt 14 Mrd. Euro bis 2013. Eine weitere Verlagerung der Probleme in ferne Zeiten ist dank der Schuldenbremse schließlich nur noch begrenzt möglich. Hinzu kommen die stark ansteigenden und für Zauberei wenig anfälligen Pensionsverpflichtungen insbesondere der Länder. Kein leichter Gegenspieler für die allseits geforderten Bildungsinvestitionen.
Aber wohin führen solche Fragen? Sicherlich hat die Koalition bereits ein neues Gesetz in Arbeit. Wie wäre es mit einem Bildungsentstehungs- oder einem Landeshaushaltsgesundungsgesetz? Auch hier könnte man das eine oder andere Privileg hineinschmuggeln und eine schöne „liberale“ Geschichte erfinden.
Text: Johannes Vatter