Skip to content

Wachsender Wohlstand durch Protektion?

von Volker Lindenthal

Frisch zurückgekehrt vom Gastsemester an der Hebrew University in Jerusalem bringe ich in meinem Gepäck keine Bombe (so wie es landläufig angenommen wird), sondern eine wirtschaftliche Perspektive auf den Nahost-Konflikt mit:

Die nun 40 jährige Geschichte der bilateralen Beziehungen zwischen dem Staat Israel und den Palästinensischen Gebieten, die nach der Okkupation bzw. Annexion im Verlauf des Sechs-Tage-Krieges begann, ist seit Anbeginn stark geprägt von Spannungen zwischen Integration und Separation zwischen den so unterschiedlichen Volkswirtschaften, Völkern und Mentalitäten.
Generell läßt sich durch die theoretische Fundierung des Freihandels bekanntlich zeigen, daß sich eine Situation ohne Grenzen positiv auf die Entwicklung der beteiligten Volkswirtschaften auswirkt. Allerdings wird dabei zumeist von einem stabilen Regel-Rahmenwerk ausgegangen, welches keine oder nur begrenzte Unsicherheit in sich birgt. Die Frage: Was passiert, wenn das Rahmenwerk massiv durch äußere Einflüsse gestört wird?

Die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Israel und den Palästinensern geben ein gutes Beispiel dafür, wie positive Effekte durch Abschaffung von Grenzen zunichte gemacht werden können, sobald Unsicherheit das Vertrauen auf Vertragseinhaltung zerrüttet.
In den ersten Jahren nach der von Israel aus erzwungenen Integration der Palästinensischen Gebiete, konnten die Volkswirtschaften auf beiden Seiten ein hohes Wachstum erfahren (jährliches reales Wachstum 1968-1972: Israel: 8%; Westjordanland: 20%; Gazastreifen: 20%), da die palästinensische Wirtschaft vom Technologietransfer (vor allem im Agrarbereich) profitierte und die israelische Wirtschaft von den billigen Arbeitskräften aus den palästinensischen Gebieten. Selbst in der Zeit der großen Wirtschaftlichen Verwerfungen der israelischen Volkswirtschaft in den 80er Jahren, die kurz vor dem Zusammenbruch stand, konnten die bilateralen Beziehungen weiter ausgebaut werden. Der Catch-Up-Prozeß der palästinensischen Wirtschaft war jedoch durch zu geringe Investitionen in den privatwirtschaftlichen Sektor und durch massive, politisch motivierte Regulierungen des Privatsektors durch die israelische Militärverwaltung beschränkt.

Der Ausbruch der Ersten Intifada im Jahre 1987 führte dann zu einer wachsenden Unsicherheit, die das unterdrückte politische Selbstbestimmungsrecht seit Anbeginn inhärent mit sich brachte. Schon damals war es vor allem der Gazastreifen, der stärker von den negativen Auswirkungen betroffen war, die aus den Unsicherheiten im politischen und gesellschaftlichen Subsystem ausstrahlten. Dieser Trend setzte sich auch nach den Aufkeimenden Hoffnungen des Oslo-Prozesses fort. Während die Zahl der Gastarbeiter aus dem Westjordanland noch zunahm, verringerte sich die Zahl der Gastarbeiter aus dem Gazastreifen drastisch. Das durch die sicherheitspolitischen Erwägungen eingeführte Closure-Regime führte dazu, daß Substitutionseffekte auf dem israelischen Arbeitsmarkt auftraten: Gastarbeiter aus Südostasien und Osteuropa wurden angeheuert, da die Unternehmen nicht darauf vertrauen konnten, daß die palästinensischen Arbeiter zur Arbeit erschienen. Produktionsstätten wurden aus Gaza in das nun befreundete Jordanien verlagert. Die Folge: Eine weitere Verschlechterung der Bedingungen in den Palästinensischen Gebieten. Die internationale Entwicklungshilfe verstärkte diesen Prozeß, da die Gelder nicht dazu verwendet werden konnten, eine Privatwirtschaft mit starkem Unternehmertum aufzubauen, sondern einzig durch Aufblähung des öffentlichen Sektors zur Absicherung gegen ein weiteres Absacken der Lebensbedingungen dienten. Die wachsende Korruption überlagerte diesen Prozeß weiterhin negativ.

Nachdem sich die Palästinenser Anfang des neuen Jahrtausends erneut gegen Israel erhoben und eine schmerzhafte und blutige Welle von Selbstmordattentaten über das Land zog, wurde eine de-facto Separation implementiert. Die Zweite Intifada führte zu einem neuen Tiefpunkt: Während die israelische Volkswirtschaft einen realen Einbruch von 8 Prozent des BIPs verzeichnen mußte (und sich der private und öffentliche Sicherheitsetat aufblähte), war die palästinensische Wirtschaft in einer ganz anderen Dimension betroffen: Der vollkommene Zusammenbruch der Wirtschaft stand bevor. Für Kinder muß der Begriff eines Binnenmarktes ob der unzähligen Sperrungen und Zerstückelungen der palästinensischen Gebiete als Fremdwort vorkommen.

Dem verständigen Kapitalisten und freiheitsliebenden Menschen wird eines klar: Unsicherheit vernichtetet das positive Potential der Integration. Was bleibt ist die Hoffnung auf Vernunft im kapitalistischen Sinn: die Realisierung der gains from trade durch gegenseitige Respektierung und die parallele und gegenseitig forcierende wirtschaftliche Entwicklung zweier souveräner Staaten. Bis dahin empfiehlt sich jedoch schweren Herzens Protektion statt Integration…

One Comment