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Der pendelnde Politiker

Von Benjamin Rosenzweig (Universität Bonn)

Nach §9 des Einkommensteuergesetzes sind Werbungskosten von den Einkünften abzuziehen. Eines der beliebtesten Elemente des Werbungskostenkataloges waren stets die Kosten der Arbeitsan- und Rückfahrt. Für die Unterstützung des pendelnden Teils der arbeitenden Bevölkerung nahm die Gesellschaft jährlich immerhin einige Milliarden Euro in die Hand. Aufgrund der desolaten öffentlichen Haushaltslage zwischen 2001 und 2005 hatte man sich dazu durchgerungen die Abzugsfähigkeit einzugrenzen. Seit 2007 gibt es nur noch ab dem 21. Kilometer eine Kompensation von 30 Cent pro Kilometer – die „Subventionsgegener“ und Konsolidierer hatten einen Etappensieg errungen, was den öffentlichen Haushalten jährlich rund 2,5 Mrd.€ zusätzliche Einnahmen beschert. Doch schon nach einem Jahr begehren ranghohe Politiker zurück, was erst kürzlich abgeschafft wurde.

Um was geht es? Objektives Nettoprinzip ist die Bezeichnung jener Besteuerungslogik, die dafür sorgt, dass nur jene Einnahmen bei der Besteuerung berücksichtigt werden, die nach Abzug aller Aufwendungen zur Erzielung von Einnahmen, übrig bleiben. Weshalb sollte es auch gerecht sein, Einkünfte zu besteuern, die letztlich überhaupt nicht eingenommen werden? Es soll eben nur der tatsächliche Lohn besteuert werden und damit der Bruttolohn abzüglich aller für die Ausübung der Tätigkeit notwendigen Ausgaben (Aufwendungen) – ein einleuchtendes Konzept. Im Fall der Entfernungspauschale geht es nun um jene Aufwendungen, die nötig sind, um die alltägliche Distanz zwischen Arbeitsplatz und Wohnort in einer angemessenen Zeit zu bewerkstelligen. Manche sehen darin eine Subventionierung des täglichen Berufsverkehrs, eine im Grunde doch perverse Beförderung von kilometerlangen Staus und CO2-Emissionen. Diese zwar naheliegende Kritik an der oberflächlichen Widersprüchlichkeit von steuerlichen Regelungen, stellt jedoch kein Argument gegen eine Entfernungspauschale dar, denn das Einkommensteuergesetzt und dessen Prinzipien von gerechter Besteuerung haben keinen zentralen Lenkungsauftrag in Sachen Umweltpolitik. Die Verkehrsdichte und der Verbrauch von fossilen Energien sind durch umweltpolitische Regulierung und Energiesteuern zu steuern bzw. zu besteuern und bilden keine Grundlage für Elemente der Einkommensbesteuerung. Ebenso wenig gilt es die Entfernungspauschale zu kritisieren wegen der enormen Verwaltungskosten oder der Komplexität des Steuersystems. Sicher kosten Ausnahmen Geld, führen zu Hinterziehung und zu mehr Steuerberatern, aber jenes Argument geht zu einfach über die Lippen und wird zu selten quantitativ untermauert. Bei der Entfernungspauschale geht es um Milliardenbeträge, es handelt sich um eine der gängigsten, bekanntesten und relativ einfachen Regelungen. Es ist äußerst unseriös, aufgrund der Verwaltungskosten hier eine Abschaffung zu fordern. Und auch eine desolate Haushaltslage ist für sich kein Argument die Konsistenz des objektiven Nettoprinzips zu zerschlagen. So einfach ist es nicht die Entfernungspauschale zu diskreditieren. Kann man sich als Pendler also getrost auf die Seite der Hubers, Rüttgers und Lafontaines dieser Republik stellen?

Ich fürchte nicht, im Gegenteil, die Entfernungspauschale besitzt keine Legitimität, die sich nicht, wenn man die Dinge zu Ende denkt, in heiße Luft auflöst. Im Kern bestehen drei wesentliche Gründe für die Beibehaltung von Vergünstigungen des Pendelverkehrs. Das des objektiven Nettoprinzips, verteilungspolitische Konsequenzen und der Schutz von Ehe und Familie. Im Folgenden werde ich versuchen alle Argumente, die für eine Entfernungspauschale sprechen, aus einer finanzwissenschaftlichen Perspektive zu widerlegen. Was die letzten beiden Argumente betrifft, so ist das nicht weiter schwer. Sowohl die negative finanziellen Auswirkung auf Familien und Ehen, in denen die Partner an unterschiedlichen Orten arbeiten als auch die problematischen Auswirkungen auf die Einkommensverteilung, lassen sich durch bestehende Umverteilungsmechanismen innerhalb der Einkommensteuer kompensieren. Ist man mit der Höhe von Einkommen am unteren Ende der Lohnskala und der finanziellen Ausstattung von Familien nicht zufrieden, so besteht ohne weiteres die Möglichkeit Einganssteuersätze zu senken, Spitzensteuersätze zu heben, Familienvergünstigungen auszubauen und zwar ohne dem System zusätzliche Regelungen aufzubürden. Es sollte generell versucht werden negative oder positive Auswirkungen auf bestimmte Gruppen innerhalb der Gesellschaft nicht in eine bestimmte Sachfrage einzubeziehen, sofern bereits funktionierende Systeme bestehen, mittels derer ungewollte Effekte aufgefangen werden können. Es geht bei der Frage der Pendlerpauschale nicht um Familien vs. Singles oder Arm vs. Reich. Es geht darum, ob Person X, die keine Kosten für den Weg zur Arbeit zu bezahlen hat, Y, die erhebliche Kosten zu tragen hat hilft oder nicht. Ob X und Y nun einer Familie angehören oder nicht, homo- oder heterosexuell sind, reich oder arm sind, spielt keine Rolle.

Es bleibt das objektive Nettoprinzip als zentraler Legitimationsansatz. Nun ist es zwar so, dass die Entfernungspauschale keine Subvention im klassischen Sinne darstellt, also keine finanzielle Leistung, die von staatlicher Seite ohne Gegenleistung an private Haushalte fließt. Es geht vielmehr um einen Verzicht auf Besteuerung von Erträgen, die eigentlich keine sind. Dennoch sollte man sich über die daraus folgenden Verzerrungseffekte bewusst sein. Dreh- und Angelpunkt ist dabei der Miet- bzw. Immobilienpreis. Dieser hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab. Unter anderem sicherlich von der Anbindung an die Verkehrsinfrastruktur und von der Entfernung zu Ballungsräumen mit vielen Arbeitsplätzen. Grundsätzlich ist also davon auszugehen, dass eine Wohnung, die näher am Arbeitsplatz liegt, günstiger ist, als eine äquivalente Wohnung, die weiter entfernt ist. Die Miet- und Kaufpreisunterschiede zwischen Stadt, stadtnahen Regionen und ländlichem Raum sind ein Indiz dafür, dass diese Logik sich über weite Strecken in der Realität niederschlägt. Zunächst könnten also alle Arbeitnehmer/innen, die aufgrund der nahen Wohnlage zu ihrem Arbeitsplatz zusätzliche Kosten zu bezahlen haben, mit Recht einfordern, diesen Anteil ebenfalls steuerlich geltend machen zu können – entsprechen diese Mehrkosten doch nur den Prämien, die durch die Nähe zu potentiellen Arbeitsplätzen besteht und nicht realen Leistungen. Die derzeitige Ausgestaltung der Entfernungspauschale ist also in doppelter Hinsicht unkonsistent. Zum einen ist die Regelung, dass erst ab dem 21. Kilometer eine Begünstigung besteht, nicht logisch zu begründen und weiterhin müssten viele Personen die nahe am Arbeitsplatz aber auch teuer wohnen auch begünstigt werden. Es besteht jedoch ein weiteres Problem: Beim Pendeln entstehen nicht nur Kosten für den Transport, sondern, und dies ist nicht zu unterschätzen, auch Zeitverluste. Diese Zeitverluste müsste man übrigens als Befürworter der Entfernungspauschale ebenfalls kompensieren, was sich vermutlich weit mehr Steuermittel kosten würde als die Pauschale wie sie bis 2006 Bestand hatte. Besteht also ein gewisser Preisunterschied durch die Nähe zum Arbeitsplatz, so ist ein Teil dieses Unterschieds auf die geringeren Zeitverluste und der andere Teil auf die finanziellen Kosten des Weges zurückzuführen. Was passiert nun aber, wenn nach konsequenter Anwendung des objektiven Nettoprinzips die vollständigen Kosten abziehbar wären? Es hätte zur logischen Konsequenz, dass die Miet- und Häuserpreise im Umland und ländlichen Raum unterhalb der tatsächlichen Marktpreise lägen und diese im Laufe der Zeit nach oben kletterten. Gleichzeitig könnten sich städtische Wohnungen vergünstigen. Letztlich verpufft die Steuererleichterung für viele Haushalte wieder und die Entfernungspauschale bewirkt nur, dass ein gewisser Anteil von Verkehrskosten nicht in Immobilien- und Mietpreise einkalkuliert werden, was zu mehr Verkehr und einem etwas günstigeren Wohnen in der Stadt führt. Die restlose Abschaffung der Entfernungspauschale ist die einzig konsistente Lösung.

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