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Konsolidieren gleich Investieren?

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von Johannes Vatter
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Die Forderung nach mehr Investitionen in Bildung und Forschung trifft zwar seit langem auf allgemeine Zustimmung. Faktisch gibt der deutsche Staat heute aber nicht viel mehr Geld für die Erziehung und Ausbildung der nachfolgenden Generationen aus als vor 15 Jahren. Im Verhältnis zum BIP sind die öffentlichen Bildungsausgaben vor allem aufgrund der Wirtschaftskrise angestiegen. Wenn etwas dazu geführt hat, dass mehr Ressourcen pro Kind und Jugendlichen aufgewendet wurden, ist es die Tatsache, dass die Schülerzahlen seit zehn Jahren stark rückläufig sind. Aber auch diese theoretisch bestehende „demografische Dividende“ schlägt sich nicht immer in zusätzlichen Bildungsinvestitionen nieder.
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Aufgrund des daraus abgeleiteten Bedarfs nach mehr Ausgaben für Bildung und Forschung, nimmt die Bildungspolitik einen zentralen Platz im Koalitionsvertrag ein. Die Ausgaben des Bundes sollen bis 2013 um insgesamt 12 Mrd. Euro steigen, die Gesamtausgaben im Bildungsbereich bis 2015 auf zehn Prozent des BIP angehoben werden. Dies würde jährlichen Mehrausgaben von immerhin 25 bis 30 Mrd. Euro entsprechen.
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Nach knapp einem Regierungsjahr werden diese Ziele jedoch schon wieder in Frage gestellt. Im Hinblick auf die umfangreichen Pflichtleistungen im Rahmen der öffentlichen Haushalte – etwa im Bereich Arbeit und Soziales – erhöhen die geplanten Mehrausgaben den Sparzwang in anderen Feldern und führen zu der Frage, ob die angestrebten Ausgaben in Anbetracht der Schuldenbremse überhaupt zu leisten sind?
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Aus einer ökonomischen Sicht stellt diese Frage den Zielkonflikt, dem die Gesellschaft tatsächlich gegenüber steht, nur unzureichend dar. Zunächst handelt es sich bei öffentlichen Bildungsausgaben um Investitionen und nicht um Konsum, den man sich leistet oder eben nicht. Ob eine Investition sinnvoll ist, hängt von der zu erwartenden Rendite ab. Für den Staat spielt dabei auch die fiskalische Rendite eine entscheidende Rolle. Diese Rendite fällt für zahlreiche Maßnahmen (etwa im frühkindlichen Alter, in der Grundschule oder auch im Hochschulwesen) wahrscheinlich positiv aus, da der Staat einerseits über Steuern und Abgaben am späteren beruflichen Erfolg partizipiert und andererseits sozialstaatliche Risiken verringert.
Die tatsächliche Entscheidung, vor welcher die Politik somit steht, ist die nach dem Zeitraum, in dem bestimmte explizite Konsolidierungsziele erreicht werden sollen. Für das Einhalten der neuen Regelungen zum Schuldenabbau bis ins Jahr 2015 mögen Kürzungen im Bildungsbereich opportun erscheinen. Nimmt die Politik jedoch längerfristige Ziele in den Blick, etwa die Haushaltslage im Jahr 2040, sind Einsparungen bei Bildung und Erziehung kontraproduktiv. Was also ist wichtiger?
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Zur Beantwortung dieser Frage ist u.a. auch die Altersstruktur von entscheidender Bedeutung. Faktisch steht schon heute fest: Die demografische Höchstbelastung der öffentlichen Haushalte sowie der gesamten Volkswirtschaft kann auf die Jahre 2030 bis 2050 datiert werden. Während sich das Verhältnis von Erwerbspersonen zum Rest der Bevölkerung heute noch sehr günstig darstellt, drehen sich die Vorzeichen in den kommenden Jahren um. Jeder Jahrgang, der von heute an in Ruhestand geht, wird größer sein als die Anzahl der nachfolgenden Berufseinsteiger (vgl. Abbildung). Bis zum Jahr 2025 wird sich diese Lücke dabei deutlich ausweiten. Dies macht sich zwar positiv an auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Gleichzeitig tritt aber genau das ein, wovor seit Jahrzehnten gewarnt wird: Die Haushalte der Sozialversicherungen weisen jedes Jahr neue Lücken auf und die Abgabenbelastung der Erwerbstätigen droht stark anzusteigen. Das Forschungszentrum Generationenvertäge quantifiziert die implizite Schuldenlast der Bundesrepublik derzeit auf 250 Prozent des BIP, was mehr als dem Dreifachen der expliziten Schuld entspricht. Die Sparanstrengungen im Zuge des Inkrafttretens der Schuldenbremse sind demnach nicht allein der Krise geschuldet, sie bereiten die Republik auch auf den inzwischen auf Sichtweite vorgerückten „demographischen Eisberg“ vor.
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Abbildung 1

Wollte man sich heute zusätzlich auf die zukünftige Asymmetrie von Erwerbstätigen zu Transferempfängern vorbereiten, besteht eine Chance zweifelsfrei in einer sehr guten Ausbildung der heute noch jungen Generation. Diese Chance wurde aber in den vergangenen 25 Jahren, seitdem der demografische Wandel deutlich absehbar ist, nicht genutzt. Betrachtet man die heutige Altersstruktur wird deutlich, dass es schon bald zu spät sein wird, um mittels zusätzlicher Bildungsinvestitionen das demografische Problem abzufedern. Bereits heute würden bei einer Ausweitung der Ausgaben bis 2015 nur noch 34 Prozent der in 2040 Erwerbstätigen davon erreicht werden. Und nur 15 Prozent der dann Beschäftigten könnten über ihren gesamten Ausbildungsweg von den heute eingeleiteten Investitionen profitieren.
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Vor dem Hintergrund dieser fortschreitenden demografischen Entwicklung erscheint eine zügige und signifikante Ausweitung der Bildungsinvestitionen grundsätzlich angebracht. Um die kurz- und mittelfristigen Konsolidierungsziele dennoch zu erreichen, bedarf es jedoch gleichzeitig umso größerer Sparanstrengungen in anderen Bereichen. Eine rationale Politik macht die Höhe der Mehrausgaben im Bildungswesen somit von zwei Fragen abhängig: Wie leicht und durch welche Maßnahmen lassen sich zusätzliche öffentliche Bildungsinvestitionen tatsächlich in Humankapital überführen? Und: Wie schmerzhaft sind zusätzliche Sparmaßnahmen an anderer Stelle bzw. die Anhebung der Steuerlast? Könnte der Staat das Bildungsniveau als Asset in einer Bilanz der Verschuldung gegenüberstellen, würden Einsparungen im Bildungswesen auch kurzfristig zu keiner Reduktion der Nettoverschuldung führen. Langfristig könnte das Schuldenproblem aber eher höher ausfallen.