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Ernst Ulrich von Weizsäcker im Gespräch über das Querschnittsdenken in der Ökonomie, eine langfristige Steuerreform und die Chancen für eine eurasische Allianz

ZG: Sehr geehrter Herr von Weizsäcker, vor kurzem ist eine erweiterte Neuauflage Ihres des Buches „Faktor Vier“ erschienen. Im Gegensatz zum ersten Buch, handelt es sich bei „Faktor Fünf“ aber vielmehr um ein ökonomisches als ein naturwissenschaftliches Sachbuch. Wie sind Sie zum Ökonom geworden?

Weizsäcker: Ich bin kein Ökonom, ich höre nur zu. Das sollten Ökonomen übrigens auch tun. Tun sie leider nicht immer.

ZG: Das mag sein. Dennoch befassen Sie sich intensiv mit Umweltsteuern und anderen ökonomischen Steuerungsinstrumenten …

Weizsäcker: Ich verstehe so gut wie jeder Zeitungsleser, wie wichtig die Wirtschaft ist. Von der Wirtschaft und teilweise der akademischen Ökonomie habe ich gelernt, wie wichtig Geldwertstabilität, Diskontsätze, Staatsquote, Investitionsklima, Technologie-Cluster, Pareto-Optimalität, und internationaler Wettbewerb sind. Aber man muss sich vor Dogmen hüten. Ein Ökonom hat mir einmal gesagt, Unternehmen und Volksgruppen können auch pareto-optimal zu Grunde gehen. Ökonomische Optimierung kann auch widerwärtig sein. Und mancher neoklassische Ökonom verdrängt das Phänomen von Grenzen, und zieht sich auf den für ihn handhabbaren Begriff der „Knappheiten“ zurück. Aber das ist etwas ganz anderes als das Respektieren von Grenzen. Grenzen zu setzen ist eine legitime Aufgabe der Politik, die man nicht den Märkten überlassen kann.

ZG: Gab es einen Punkt in Ihrem Werdegang, an dem Sie sich bewusst für eine stärkere Beteiligung am politischen und ökonomischen Diskurs entschieden haben?

Weizsäcker: Nein, ich habe nie derartige „Entschlüsse“ gefasst. Ich habe als politisch denkender Mensch immer schon empfunden, dass es legitime Aufgaben des Staates gibt. Und um hier etwas mitzugestalten, genügen keine Bücher oder Stammtischgespräche, sondern da sollte man sich in die politische Entscheidungsfindung einmischen. So habe ich 1997 das Angebot, für den Bundestag zu kandidieren sehr gerne akzeptiert. Dass man da einen Preis zahlt, ist klar. Denken Sie etwa an den Fraktionszwang bei Abstimmungen im Plenum. Da muss man über Haushalt, Hartz I bis IV, Staatsbürgerschafsrecht oder den Einsatz der Bundeswehr abstimmen. Da war meine Kompetenz sicher geringer als in vielen Fragen der Ökonomie.

ZG: Eines Ihrer Hauptanliegen als Parlamentarier war die ökologische Steuerreform des Jahres 1999. Inzwischen sind gut zehn Jahre vergangen, große Teile der Bevölkerung sind für Fragen des Klimawandels und der Ressourcenpolitik sensibilisiert. Die Deutungshoheit liegt bei den besorgten Mahnern aus Wissenschaft und Medien. Gleichwohl besteht ein kleiner Kern von Skeptikern, die den düsteren Zukunftsszenarien wenig Glauben schenken und einen etwaigen umweltpolitischen Aktionismus für übertrieben halten.
Ärgern Sie derartige Akteure innerhalb von Umweltdebatten oder nehmen Sie die Skeptiker als wichtige Triebfeder für eine ausdauernde wissenschaftliche Fundierung der Klimathesen war?

Weizsäcker: Als ein erwachsener politischer Mensch weiß ich, dass es gegen jede noch so gut begründete Änderung immer freche, verlogene und dumme Einwände gibt. Bei der Umstellung auf eine Wirtschaft und Technologie, die man als klimaverträglich ansehen kann, sind genau solche Einwände zu erwarten. Dem muss man dann mit den Argumenten von Nicholas Stern entgegenhalten, dass jedes Jahr, das wir bei der Umstellung verschlafen, den Nachgeborenen hunderte von Milliarden an Kosten aufgebürdet werden.

ZG: Aber ist es keine plausible Strategie, sämtliche überschüssigen Kräfte unserer Volkswirtschaft zunächst in andere Großprojekte fließen zu lassen, etwa das der weltweiten Armutsbekämpfung oder der medizinischen Versorgung gerade ärmerer Teile der Weltbevölkerung?

Weizsäcker: Das ist der alte Kampf zwischen kurzer und langer Frist. Der dänische Statistiker Björn Lomborg ist vielleicht der prominenteste Vertreter des Kurzfristlagers. Er sagt genau dies, dass man das Geld doch lieber in Malariabekämpfung als in Klimaschutz stecken solle. Das kommt in Entwicklungsländern, aber auch in der Wirtschaft gut an. Natürlich erscheint ein Projekt, dass in fünf bis zehn Jahren Dividenden abwirft, lukrativer als Investitionen zur Vermeidung von Schäden in 50 oder 100 Jahren. Björn Lomborg ist ein Kurzfrist-Moralist, ist aber persönlich bestrebt, seinen Lebensstil klimafreundlich zu gestalten.

ZG: Leider ist es aus wissenschaftlicher Sicht enorm schwierig soziale Zeitpräferenzraten zu bestimmen, insbesondere, wenn man von begrenzt rationalen Individuen ausgeht. Glauben Sie dennoch an eine Versachlichung solcher Kontroversen?

Weizsäcker: Vieles hängt von der veranschlagten Diskontrate ab. Je höher man sie annimmt, desto kurzfristiger fallen die Strategien aus. Bei hohen Diskontraten ist eine die halbe Menschheit vernichtende Klimakatastrophe in 100 Jahren für die heutige Welt vernachlässigbar billig. Der Denkfehler dieser Mathematik liegt darin, dass es ja auch Lawinen-Effekte geben kann, die die Anfangsfehler gigantisch verschlimmern. Dann sollte man eher von negativen Diskontraten reden.

ZG: Dass müssen Sie uns noch einmal erklären.

Weizsäcker: Wenn sich selbst verstärkende Kräfte das System Erde immer weiter aus einem lebenswerten Gleichgewicht herausdrängen, so dass die Schäden rascher steigen als man sie abdiskontieren kann, (so sieht das Lord Stern), dann wäre es klug, diese Kräfte jetzt zu stoppen. Aber hier haben wir einen wohl unversöhnlichen Streit zwischen Nicolas Stern und Björn Lomborg. Ihre Annahmen sind grundverschieden.

ZG: Lassen Sie uns näher auf das umweltpolitische Instrumentarium eingehen, welches Sie als langfristig orientierter Politiker anstreben, schließlich hängen die jeweiligen Renditen stark von der Wahl und der konkreten Ausgestaltung der Maßnahmen ab. Viele Ökonomen kritisieren etwa die Subventionierung erneuerbarer Energien, da die finale Menge an Emissionen durch das Europäische Zertifikatehandelssystem (ETS) bestimmt wird. Auf diesem Wege führen wir doch lediglich zu einer Verbilligung der Emissionen, ändern aber nichts am gesamten Ausstoß von Treibhausgasen. Was erwidern Sie der ökonomischen Kritik an der Koexistenz von EEG und ETS?

Weizsäcker: Dieses Argument, u.a. von Hans-Werner Sinn vorgetragen, ist in seiner gedanklichen Struktur ein statisches. Es nimmt an, dass die Emissionsbegrenzung durch Kioto oder das ETS für alle Zeit bereits vorgegeben sei. Dann ist in der Tat die Subventionierung von erneuerbaren Energien klimapolitisch sinnlos. Aber wenn man Klimapolitik dynamisch sieht, dann ist die EEG-Erfolgsgeschichte eines der besten Argumente, den ETS-Rahmen rasch zu verändern, ehrgeiziger zu machen. Weil dies Arbeitsplätze sichert und ausbaut. Aufgrund der deutschen Erfolgsgeschichte haben ja etwa 50 Staaten das EEG praktisch kopiert, und das hat Bewegung in die Klimadiskussion gebracht. Immer noch viel zu wenig, wie wir seit Kopenhagen wissen.

ZG: Haben Sie sich mit Professor Sinn persönlich unterhalten?

Weizsäcker: Leider nicht hierüber. Aber ich kenne und schätze ihn als erstrangigen Ökonomen. Trotzdem meine ich, ihm hier widersprechen zu müssen.

ZG: Nehmen wir einmal an, Sie haben Recht, und die Existenz der Einspeisevergütungen verleiht der Bundesrepublik in Umweltfragen ein besonderes politisches Gewicht. Dann müssen Sie doch trotzdem eingestehen, dass die Fördersummen jeder Logik entbehren. Nirgends auf der Welt ist so viel Kapital in Photovoltaikanalgen gebunden wie in Deutschland. Allein im Jahr 2009 wurden für knapp 10 Mrd. Euro Kollektoren installiert, obgleich Deutschland ein denkbar schlechter Standort ist für diese Investition ist. Würden Sie Bananen auf in Grönland anbauen?

Weizsäcker: Es gibt tatsächlich ein absolut legitimes Argument zur Reduktion der Fördersätze. Durch die Erfolgsgeschichte und weltweite Verbreitung hat sich der Herstellungspreis einer Kilowattstunde durch Photovoltaik rascher gesenkt als es durch das EEG bei Abfassung vorgesehen war. Hier sollte die Politik in der Tat nachziehen und das Prinzip der Kostendeckung wiederherstellen. Volkswirtschaftlich und arbeitsmarktpolitisch schädlich hingegen wäre eine Kürzung der Fördermittel bis auf ein Maß, welches den Ausbau zur Stagnation führt. Wir müssen eine gewisse Investitionssicherheit bei erneuerbaren Energien aufrechterhalten. Sonst hätten wir Deutschen am Ende nur die teure Einstiegsphase gehabt, und die Konkurrenten sahnen dann in der billigen Massenphase ab.

ZG: Entschuldigung, aber wenn – sagen wir – die Finnen ebenfalls der Meinung sind, dass die Erforschung von Solarenergie ein Segen für den Globus darstellt, empfehlen Sie ihnen doch auch keine kostendeckende Subventionierung von Solaranlagen?

Weizsäcker: Selbst in Finnland kann eine Kombination aus Sonne und Wind Sinn machen, zumal Finnland von einem Anstieg des Meeresspiegels stark gefährdet wäre.

ZG: Nun bezeichnen Sie neben einer möglichen Ausweitung des internationalen Zertifikatehandels und einer Innovationspolitik durch die Subventionierung erneuerbarer Energien, das Instrument der Umweltsteuern als dritten wesentlichen Baustein einer Erfolg versprechenden Umweltpolitik. Wie stellen Sie sich das vor?

Weizsäcker: Ehrlich gesagt, ich halte die Grundidee der ökologischen Steuerreform für ökonomisch noch viel einleuchtender als das EEG. Was ist im neuen Buch „Faktor Fünf“ vorschlage, ist sehr einfach: Der Preis für Energie sollte im Gleichschritt mit der Produktivität des Energieeinsatzes ansteigen. Bei der Arbeit erleben wir seit 150 Jahren eine relativ enge Bindung der Bruttolohnkosten an die Arbeitsproduktivität. Das ist für Ökonomen völlig selbstverständlich. Niemand würde auf die Idee kommen, die Entlohnung des Faktors Arbeit von heute an zu deckeln. Nun ist aber heute der Faktor Arbeit eigentlich ein weniger knappes Gut als der Faktor Energie. Sonst hätten wir nicht den gleichzeitigen Ärger mit Arbeitslosigkeit und Klimaproblemen. Die ökologische Steuerreform von 1999 war die erste logische Konsequenz. Immerhin konnte so eine gewisse Stabilisierung der Lohnzusatzkosten erreicht werden.

ZG: Die akademische Ökonomie spricht in diesem Zusammenhang von einer doppelten Dividende, einer umwelt- und einer beschäftigungspolitischen. Diese These ist inzwischen aber mehr als umstritten.

Weizsäcker: Bei der Ökosteuer kam es aus meiner Sicht durchaus zu einer doppelten Dividende. Langfristig wird es bei einer stetigen Verteuerung von fossilen Energien im Gleichklang mit der ansteigenden Energieeffizienz aber nicht zu mehr Steuereinnahmen kommen, da die Menge an verbrauchten Rohstoffen bei gleichbleibendem Konsum ja entsprechend zurück geht. Es geht also zukünftig im Kern um die ökologische Dividende und nur in deren Zusammenhang um die Dividende der Vermeidung der von Lord Stern befürchteten Schäden.

ZG: Die von Ihnen skizzierte langsame und stetige Erhöhung der Steuern auf Energieträger zielt darauf ab, Planungssicherheit und somit effiziente Investitionsentscheidungen zu induzieren. Wie aber wollen sie vor dem Hintergrund der enorm hohen Volatilität an den globalen Rohstoffmärkten hier einen Preispfad durch steuern festzimmern?

Weizsäcker: Es geht nicht darum, den Preis bis auf die Kommastelle zu bestimmen. In „Faktor Fünf“ gehen wir von einem relativ toleranten Korridor aus. Da muss man gelegentlich nachjustieren, wenn die Märkte an die Korridorwand rennen. Die Hauptsache ist die langfristige Richtung. Ich sehe im Augenblick keinen Grund, der dagegen spricht, das von mir vorgeschlagene Trajekt dieses aufwärts zeigenden Korridors auf 200 Jahre auszudehnen.

ZG: Das bedeutet aber auch, dass es bei einem enormen Ölpreisanstieg zu drastischen Spritsteuersenkungen kommen würde.

Weizsäcker: Sicher, der Korridor hat auch einen oberen Deckel. Dies hat den Vorteil, dass spekulative Spitzen weniger wahrscheinlich werden. Der Korridor entmutigt Spekulanten und ermutigt Investoren. Und das ist doch genau wonach unser Wertekanon verlangt.

ZG: Nun entstehen durch eine solche Energiepreispolitik aber soziale Verwerfungen. Immerhin gibt es ja zahlreiche Haushalte, die nicht über die Mittel verfügen, um in Energieeffizienz zu investieren.

Weizsäcker: Das ist aus meiner Sicht das einzig verbliebene zutreffende Gegenargument. Sofern dieses Argument tatsächlich in ein reelles politisches Problem mündet, bedarf es an dieser Stelle eines geringfügigen sozialpolitischen Eingriffs, etwa eines steuerbegünstigten Sockels für jeden. Die heutige Stromzählertechnik erlaubt solche Maßnahmen ohne Zusatzkosten.

ZG: Wir geben uns geschlagen. Spontan fallen uns keine weiteren Angriffspunkte mehr ein.

Weizsäcker: Was die Vorzüge betrifft, könnte man aber durchaus noch weitermachen. Vergessen Sie nicht, dass es neben der Energiefrage auch noch das Thema „Stoffe“ gibt. Es gibt erhebliche Synergien zwischen einer nachhaltigeren Kreislaufwirtschaft und einer klimafreundlichen Energiepolitik. Denken Sie etwa an Müllhalden bzw. Müllöfen! Aluminiumschmelze aus Aluminiumschrott kostet ein Zwanzigstel an Kilowattstunden gegenüber der Gewinnung von Aluminium aus Bauxit. Mancherorts sind Bauxit-Bergwerke und Aluminiumschmelzen die größten Umweltsünder und Energieverbraucher. Ein 90-prozentiges Rückführen von wichtigen Metallen sowie von Nährstoffen wäre auch klimapolitisch ein Gewinn. Nachhaltige Stoffwirtschaft ist in Ostasien sehr populär, während wir beim Hausmüll unsinnigerweise voll auf die Verbrennung gesetzt haben, – mit der TA Siedlungsabfälle.

ZG: Lassen Sie uns von der theoretischen zur politik-ökonomischen Diskussion übergehen. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass sich ein solches Steuerregime international durchsetzt?

Weizsäcker: Innerhalb der OECD-Länder wird sich solch ein Gedankengut über einen Zeitraum von 25 Jahren peu à peu durchsetzten. Natürlich wird es Ausnahmen geben, allen voran die USA. Für US-Amerikaner ist ja bereits das Wort tax derart vergiftet, dass eine rationale Steuerpolitik gar nicht mehr möglich erscheint. Ich habe sechs Jahre dort gelebt und muss zugeben, dass ich die USA in diesem Punkt innerlich abgeschrieben habe. Die ideologischen Grundannahmen sind derart versteinert, dass selbst der sehr vernünftige Präsident Obama da kaum einen Fuß auf den Boden bekommt. In Kanada stehen die Dinge leider auch nicht anders. Das Land hat sich die Mentalität der Ölprovinz Alberta zu eigen gemacht, von wo auch Premierminister Harper kommt.

ZG: Immerhin können Sie sich unter den Europäern eine Einigkeit vorstellen.

Weizsäcker: Sicher wird dies auch in Europa einiges an Überzeugungsarbeit brauchen. Viele Europäer sind als angehende Akademiker durch die Gehirnwäsche amerikanischer Universitäten gegangen. Trotzdem: Innerhalb der meisten Länder der OECD, dürfte sich unser Gedankengut durchsetzen, speziell auch in Korea und Japan, beides keine Leichtgewichte. Was ich am Horizont sehe, ist eine technologische und steuerpolitische Allianz zwischen Europa und Ostasien einschließlich China.

ZG: Greifen wir dieses Szenario auf: Angenommen, es kommt mittelfristig zu einer koordinierten Umweltpolitik zwischen Europa, Japan und Korea. Diese Länder machen bereits heute weniger als ein Drittel der realen weltweiten Produktion aus.

Weizsäcker: Silicon Valley hatte zu Beginn weniger als ein Hundertstel der weltweiten Produktion und wurde doch zum Leitstern der Technologie. Natürlich muss man gewisse Einwände ernst nehmen. Vielfach gibt es die Sorge, dass energieintensive Unternehmen bei zunehmender Energiebesteuerung auswandern, in Entwicklungsländer. Schön wäre es, wenn auch Russland, China und andere Entwicklungsländer mitmachen. Bei China bin ich besonders optimistisch. Es betreibt heute schon eine aktive Auslagerung von energieintensiven Produktionsanteilen aus China heraus!. Russland hingegen mit seiner leninistischen Tradition billiger Energie näher bei den USA als bei uns. Indien, Bangladesh, Ägypten sind Entwicklungsländer, die von einer Konzentration auf energieeffiziente Technologie und Infrastruktur genauso profitieren würden wie China oder Deutschland. Ein bisschen internationale Arbeitsteilung ist ja nicht schädlich. Nur aus Klimagründen sollte man auch die typischen Bergwerksländer irgendwie einbeziehen.

ZG: Was sollte Indien und China bewegen, sich in Sachen globaler Umweltpolitik zu engagieren, wo sich doch beide Länder immer noch in einem sagenhaften ökonomischen Aufschwung befinden?

Weizsäcker: Die gedankliche Wende innerhalb der Entwicklungsländer kann nur dann gelingen, wenn sich Europa und eines Tages die ganze OECD mit dem Konzept gleicher Emissionsrechte pro Kopf anfreundet. Erst dann wird es in Indien außerordentlich attraktiv, eine ökologische Steuerreform zu beginnen – sogar äußerst lukrativ. Bei dieser schwierigen Frage könnte ein solches Gerechtigkeitskonzept viel bewirken und zum tipping point werden. Der schwarze Peter liegt also bei uns. Und wir sollten schnell beginnen. Bereits heute nehme ich Stimmen aus China oder Brasilien wahr, die sich gegen eine Gleichverteilung der Pro-Kopf-Emissionrechte aussprechen.
Wir müssen demnach sehr rasch die Kurve bekommen. Frau Dr. Merkel hat dies zum Glück bereits 2007 verstanden.

ZG: Wann könnte Bewegung in diese Debatte kommen?

Weizsäcker: Das Thema muss am besten noch in diesem Jahr in Cancún auf die Tagesordnung!

ZG: Kopenhagen war bereits eine große Enttäuschung für den Umwelt- und Klimaschutz. Große Teile der Welt sind bislang offensichtlich nicht bereit, sich für globale Umweltpolitik zu engagieren. Können Sie trotz dieser Verhältnisse ein optimistisches Szenario schildern?

Weizsäcker: Wichtig ist die Verknüpfung der verschiedenen Elemente. Der „Faktor Fünf“-Wohlstand, die langfristige ökologische Steuerreform und die pro Kopf gleichen Emissionsrechte stützen sich gegenseitig. Das ist noch nicht in den Köpfen. Am ehesten in Europa und Ostasien. Daher mein Gedanke an die Allianz. Und dann wird zehn Jahre später Wall -Street dem US-Kongress sagen, er solle endlich mit der Blockade der Klima- und Steuerpolitikaufhören. Der Kongress alleine wird sich mit Europäern und Ostasiaten nicht auf eine vernünftige Klimapolitik einigen.

ZG: Vom Klimagipfel in Kopenhagen ging China als ein der USA ebenbürtiger Blockierer aus den Verhandlungen. Worin unterscheidet sich China von den USA?

Weizsäcker: Die Chinesen haben ja schon lange mitgeteilt, keine internationalen Verpflichtungen zu unterzeichnen, bevor der Norden seine Hausaufgaben gemacht hat. Gleichzeitig hat der Volkskongress aber eine Verminderung der CO2-Intensität um 40 bis 45 Prozent in 15 Jahren versprochen. Das ist wesentlich mehr als in den USA. Im übrigen halten viele Umweltschützer den von Obama (mit Blick auf den Kongress) ausgehandelten Copenhagen Accord nicht nur für klimapolitisch irrelevant, sondern sogar für schädlich.

ZG: In Ordnung, bleiben wir bei der eurasischen Vision der klimapolitischen Zukunft. Was entgegnen Sie dem Argument, das Hans-Werner Sinn als das „grüne Paradoxon“ bezeichnet: Es gibt ein weitreichendes Zertifikatesystem und/oder eine koordinierte Besteuerung von fossilen Energieträgern. Dies schürt die Erwartung langfristig sinkender Nettopreise, worauf die Anbieter die Förderung der Ressourcen zeitlich möglichst weit nach vorne verlegen und damit den Klimawandel und die Umweltschädigungen sogar beschleunigen.

Weizsäcker: Die entscheidende Frage ist: Wem fließt das Aufkommen der Umweltsteuern zu? Es ist doch vorstellbar, einen Teil der abgeschöpften Rendite an die Öl oder ggf. Kohle exportierenden Länder zurückzugeben, unter der Voraussetzung, dass ihre Fördermengen sich nicht erhöhen, sondern dass der Export von Öl und Kohle im heutigen Ausmaß sogar zeitlich begrenzt wird. Man könnte also versuchen, diese Länder mit ins Boot zu bekommen. Nun kann man sagen, dass dies nicht allzu wahrscheinlich ist. Mag sein, nur ist das ganze Argument hinsichtlich der ökologischen Steuerreform wenig überzeugend. Ich spreche ja nicht von einem Steuer-, sondern von einem Preispfad, d. h. wir können das einfach kühl und lächelnd abfangen. Wenn die Exporteure mit ihren Mengen nach oben und den Preisen nach unten gehen, erhöhen wir die Steuern. Das macht es für Ölexporteure sinnwidrig, ihre Ölförderung zu steigern und die Presie zu senken.

ZG: Die OPEC-Staaten wären sicher nicht begeistert.

Weizsäcker: Damit es nicht zu einem politischen Weltenbrand kommt, sollte man die OPEC auf jeden Fall mit einbeziehen. Unter diesem Gesichtspunkt ist auch „Desertec“ eine hervorragende Sache, schließlich bedeutet das ja Bonanza für diese Länder. Jedenfalls gilt es diesen arabischen Gürtel, der zufälligerweise sowohl über Öl als auch über Sonne verfügt, zu pazifizieren.

ZG: Das heißt, sie schließen sich nicht der Kritik Ihres Kollegen Hermann Scheer an, der in „Desertec“ nur die Fortsetzung einer anachronistischen zentralen Energieerzeugung sieht.

Weizsäcker: Weltpolitisch halte ich „Desertec“ wegen des unendlich delikaten Problems zwischen der islamischen und der westlichen Welt aber für eine ausgezeichnete Idee. Es ist vorteilsausgleichend, nachhaltig und der Fingerzeig, wie man vom Öl runter kommt.

ZG: Herr von Weizsäcker, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Das Interview führten Johannes Vatter und Volker Lindenthal