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Professor Fitzenberger im Gespräch über Motivation, bedingte Wahrscheinlichkeiten und Wege aus der Massenarbeitslosigkeit – 2. Teil

ZG: Herr Fitzenberger, lassen Sie uns den zweiten Teil dieses Gespräches mit einer statistischen Frage beginnen: Kennen Sie das Monty-Hall-Dilemma?

Fitzenberger: Nein.

ZG: Stellen Sie sich also vor, Sie wären Teilnehmer einer Quizshow. Es gibt drei Türen, von denen eine mit einem Preis bestückt ist. Sie wählen eine der Türen aus, woraufhin der Showmaster, der den Inhalt jeder Tür kennt, eine andere Tür öffnet, hinter der sich eine Niete befindet. Würden Sie unter diesen Bedingungen noch einmal neu entscheiden und zu der verbleibenden geschlossenen Tür wechseln?

Fitzenberger: Ich bin indifferent. Es besteht schließlich die Annahme einer Gleichverteilung.

ZG: Das schon, aber es ist dennoch ratsam sich für die andere Tür zu entscheiden.

Fitzenberger: Sie würden also wechseln?

ZG: Ja, denn ein Wechsel verdoppelt die Wahrscheinlichkeit den Preis zu gewinnen.

Fitzenberger: Verstehe, aber nur wenn die ursprünglich ausgewählte Tür vom Showmaster nicht aufgedeckt werden darf.

ZG: Korrekt. In zwei von drei Fällen befindet sich der Preis hinter einer anderen Tür. In beiden Fällen zeigt der Showmaster, wo sich der Preis nicht befindet und verdoppelt so die Wahrscheinlichkeit der verbleibenden Tür. Mit Ihrer Arbeit tragen Sie wesentlich dazu bei, dass Ökonomen ihre Intuition für Zahlen und Wahrscheinlichkeiten verbessern. Machen wir mehr fachliche Fehler durch eine fehlende Zahlenkompetenz als durch fehlende Information?

Fitzenberger: Menschen tun sich im Allgemeinen schwer, wenn es um bedingte Wahrscheinlichkeiten geht, wie man auch anhand des verblüffenden Effektes in ihrem Beispiel sehen kann. Gleiches gilt für die Kombinatorik. Nehmen sie das Beispiel einer Geburtstagsparty: Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Gäste einer Party, am selben Tage Geburtstag haben? Vermutlich weit höher als sie denken. Das Denken in bedingten Wahrscheinlichkeiten und Kombinationen erfordert einen hohen Abstraktionsgrat. Wir dürfen uns daher bei der statistischen Ausbildung in VWL nicht darauf beschränken, Aufgaben mit Papier und Bleistift zu lösen, die in der Praxis heute sowieso der Computer durchführt. Heute steht die Zahlenkompetenz im Mittelpunkt und da geht es viel weniger um das Rechnen, sondern um den richtigen Umgang mit Zahlengrößen, der richtigen Gewichtung und der Interpretation von Zahlen. In der Tat kann man sich viel Datenarbeit ersparen, wenn man die Ergebnisse hinterher falsch interpretiert. Ich denke, in der Vergangenheit bestand im VWL-Studium eine zu große Trennung zwischen der Statistik und Ökonometrie einerseits und den eigentlichen ökonomischen Veranstaltungen andererseits. Eine Vernetzung dieser Bereiche ist aber notwendig, denn sobald ein Ökonom beratend tätig ist, muss er Zahlen schnell und kompetent verarbeiten können.

ZG: Die Lehre wird sich demnach also noch stärker hin zu den nummerischen Bereichen verschieben?

Fitzenberger: Sehen Sie, die sogenannte Mannheimer Schule steht traditionell für die enge Verknüpfung von empirischer Wirtschaftsforschung und wirtschaftswissenschaftlicher Analyse. Für mich ist es bemerkenswert, dass die Wirtschaftsforschungsinstitute heute zum großen Teil von Ökonomen besetzt sind, die eine wesentliche Zeit ihrer wissenschaftlichen Ausbildung in Mannheim absolviert haben. Franz, Zimmermann, Sinn, Börsch-Supan, Christoph Schmidt, der jetzt neues Mitglied im Sachverständigenrat geworden ist – das sind alles Ökonomen, die aus der Mannheimer Schule stammen. Andere Universitäten orientieren sich daher zu Recht an diesem Vorbild.

ZG: Zu dem Erfolg, den sie beschreiben, kommt sicherlich noch hinzu, dass sich die Politik seit einiger Zeit geöffnet hat für Ergebnisse aus der empirischen Wirtschaftswissenschaft. Kommissionen und Expertengremien haben so entscheidenden Einfluss auf die Wirtschafts- und Finanzpolitik der letzten Jahre gehabt. Dennoch ist das Konzept von forschungsbasierter Politik in Deutschland relativ jung. Sehen sie Gefahren für diese Entwicklung?

Fitzenberger: Das Konzept der „Evidence-based policy“, das von der Blair-Regierung 1997 in Europa eingeführt wurde, ist doch sehr einleuchtend. Ehe wir Geld ausgeben, sollten wir schlicht wissen, was die jeweilige Maßnahme bringt. Was sind die kausalen Zusammenhänge? Insbesondere der Staat, der doch einen ganz erheblichen Anteil am BIP hat, ist gut beraten, wenn solches Wissen durch empirische Forschung entsteht. Die Tatsache, dass Deutschland in der jüngeren Vergangenheit zunehmend auf empirische Erkenntnisse setzt, ist nicht zuletzt die Folge der großen und komplexen Probleme, mit denen wir uns auseinander setzen müssen. Nehmen sie die Arbeitsmarktpolitik, hier war im letzten Jahrzehnt der politische und gesellschaftliche Druck konkrete und wirksame Maßnahmen zu ergreifen einfach sehr hoch. Es ging darum endlich zu wissen, welche Maßnahmen die Massenarbeitslosigkeit wirksam bekämpfen. Die Amerikaner haben bereits in den 60er Jahren angefangen, viele politischen Maßnahmen empirisch zu evaluieren. Ich bin mir sicher, dass sich dieser Trend fortsetzt und begrüße dies natürlich.

ZG: Was jedoch, wenn sich empirische Ergebnisse wie so oft widersprechen oder methodisch zweifelhaft sind?

Fitzenberger: Sicher, wissenschaftliche Ergebnisse sind häufig nicht eindeutig und es gibt auch immer wieder methodischen oder normativen Dissenz. Ich bin nicht derjenige, der sagt, dass aus einer einzigen seriösen Studie bereits eine Politikimplikation gezogen werden kann. Dennoch halte ich es für einen viel versprechenden Weg, sich empirisch mit den Dingen auseinander zu setzen.

ZG: Wenn man sich die Evaluationen der Hartz-Reformen vor Augen führt, dass heißt man sieht z.B., dass das Konzept der PSA relativ schlecht abgeschnitten hat, während die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe als positiv im Sinne der langfristigen Situation auf dem Arbeitsmarkt bewertet wurden, und nehmen wir weiterhin an, die Politik handle gemäß dieser Evaluationsergebnisse und führt den Reformprozess fort, was glauben Sie, wie viel Potential liegt in einer weiteren Optimierung der Arbeitsmarktpolitik?

Fitzenberger: Ich denke hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Die Evaluationsergebnisse sind bislang noch nicht in ausreichendem Maße repliziert worden. Im Grunde sollten sich jetzt junge Doktoranden mit aktuellen Methoden erneut auf die gleichen Daten stürzen. Wissenschaftliche Ergebnisse müssen durch den akademischen Prozess kritisch reflektiert und validiert werden. Ehe man den Reformprozess fortsetzt, wäre es gut, wenn die bestehenden Ergebnisse noch stärker empirisch überprüft und gegebenenfalls sogar falsifiziert werden. Die USA ist, was diese Prozesse angeht, ein gutes Stück weiter als wir in Deutschland. Aber leider ist eine Reproduktion von Ergebnissen nur in wenigen Fällen möglich, sei es wegen des Datenschutzes oder der Unvollständigkeit der Publikationen. Wir brauchen aber eine bessere Replikationskultur, um empirisch belastbare Politikempfehlungen zu geben. Das reduziert auch die Gefahr, dass sich widersprechende empirische Ergebnisse zu einer Beliebigkeit in der Politikberatung führen.

ZG: Aber dies würde ja bedeuten, dass wir viele Jahre warten müssen, ehe die Arbeitsmarktreformen in ausreichendem Maße evaluiert wurden und demzufolge fortgesetzt werden können.

Fitzenberger: Natürlich braucht die Politik irgendwann eine Entscheidung. Sie kann nicht immer auf das Ergebnis des akademischen Diskurses warten. Und selbst wenn die Ergebnisse rechtzeitig vor lägen, wäre es naiv zu glauben, dass die Politik die Entscheidung alleine den empirischen Wirtschaftsforschern und deren Resultaten überlässt – und die notwendigen Werturteile sollte die Politik selbst fällen. Dennoch spielen die wissenschaftlichen Analysen eine gewichtige Rolle, denn je stärker sie in eine Richtung ausschlagen, desto größer ist der Begründungszwang, wenn man auf Seiten der Politik etwas anderes machen will.

ZG: Können sie uns hierfür ein Beispiel liefern?

Fitzenberger: Gerne. Sehen Sie sich die traditionellen, teuren Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen an. Es gibt nach meinem Kenntnisstand keine seriöse Studie, die gezeigt hat, dass Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Westdeutschland zu positiven Beschäftigungsimpulsen geführt haben. Die Effekte variieren zwischen Null und stark negativ. Die Politik war irgendwann nicht mehr in der Lage diese Maßnahmen zu legitimieren und hat reagiert. Traditionelle Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden heute in Westdeutschland kaum noch eingesetzt.

ZG: Das ist doch ein schönes Schlusswort für unsere fachliche Diskussion. Zuletzt noch zur aktuellen Situation in der Fakultät: Wie bewerten Sie die derzeitigen Entwicklungen?

Fitzenberger: Neben allen Disputen, die für eine lebendige Fakultät normal sind, habe ich den Eindruck, dass alle von dem Geist getragen sind voranzukommen und die anstehenden Hochschulreformen zu bewältigen. Sicher trägt jeder auch eine große bürokratische Last, aber ich spüre den allgemeinen Willen weiter zu kommen. Und dazu trägt auch die Ernennung der Albert-Ludwigs-Universität zur Eliteuniversität ein Stück weit bei. Im Rahmen der Exzellenzmittelvergabe waren wir Wirtschaftswissenschaftler im letzten Jahr bei den Förderprogramm für Nachwuchsgruppen als Fach am erfolgreichsten. Mit einer zusätzlichen Junior-Professur im Bereich der Finanzmathematik und der Nachwuchsgruppe empirische Bildungsforschung sowie den laufenden Berufungsverfahren ist eine große Dynamik zu sehen.

ZG: Was kann noch besser werden?

Fitzenberger: Das Leben ist voller Risiken. Ein Risiko, das in naher Zukunft zu bewältigen ist, ist der überraschende Rückgang bei den Studiengebühren, der die Universität jetzt vor unerwartete Haushaltsprobleme stellt. Auch was das Doktorandenprogramm betrifft sind wir leider noch nicht so weit, wie ich mir wünschen würde, obwohl wir im Kollegenkreis fast vollständigen Konsens erzielt haben. Aber auch das wird früher oder später anlaufen.

ZG: Herr Fitzenberger, wir wünschen Ihnen weiterhin alles Gute für Lehre und Forschung und bedanken uns für das Gespräch.

________________ ZG STANDPUNKTE ____________________

Und zum Abschluss: Zehn Kommentierungen des Professors Fitzenberger:

ZG: Die Globalisierung ist ein Segen!

Ja, die Bewältigung ist aber auch eine große Herausforderung.

ZG: Der Klimawandel wird in seiner Bedeutung überschätzt!

Das würde ich bezweifeln.

ZG: Eine Erhöhung der Hartz 4 Regelsätze ist derzeit nicht vernünftig!

Eine Erhöhung ist vernünftig, die Frage ist nur um wie viel.

ZG: Die Staatsverschuldung sollte drastisch gesenkt werden!

In der aktuellen Situation sicher nicht, aber mittelfristig ist eine Reduktion der Neuverschuldung auf Null sehr wünschenswert.

ZG: Es muss mehr Geld für … bereitgestellt werden!

Es muss mehr Geld für Bildung bereit gestellt werden.

ZG: Es kann viel Geld im Bereich … eingespart werden!

In der Industriepolitik kann viel Geld eingespart werden.

ZG: Die Mathematisierung der Ökonomie ist an ihre Grenzen gestoßen!

Nein, wir fangen erst richtig an.

ZG: Die Ökonomisierung der Universität sollte weiter voran getrieben werden!

Ja, die Universität sollte als wirtschaftlich handelnde Einrichtung mit festen Zielen und festen Rahmenbedingungen agieren können.

ZG: Das Handeln von Menschen ist im Kern von monetären Motiven bestimmt!

Das trifft nur teilweise zu.

Polarfragen:

ZG: Josef Ackermann oder Götz Werner?

Wer ist Götz Werner?

ZG: Beethoven oder Beatles?

Beatles.

ZG: Keynes oder Friedman?

Keynes.

ZG: Kündigungsschutz oder Mindestlohn?

Keines von beiden.

ZG: Auto oder Zug?

Zug.

ZG: Wein oder Sport?

Sport und dann Wein.

ZG: Konsumieren oder Sparen?

Das ergänzt sich.

ZG: Steinbrück oder Merz?

Als Politker Steinbrück, als Berater Merz.

ZG: Familie oder Karriere?

Beides, und zwar sofort.

ZG: Anleihen oder Optionen?

Anleihen.

Das Interview führten Johannes Vatter und Christoph Müller