Bhagwati präsentiert munter ökonomische Weisheiten und unterschätzt das freiburger Publikum.
Ein Kommentar von Johannes Vatter.
Unter dem Titel Capitalism after Crisis kündigte das Walter Eucken Institut für den 11. Mai einen der bedeutendsten Handelstheoretiker der vergangenen Jahrzehnte an. Dabei sind bereits zwei Dinge bemerkenswert. Zunächst kommt es nicht gerade häufig vor, dass die freiburger VWL nach solchen Sternen greift und sie dann auch noch bekommt (Respekt den Initiatoren!). Des weiteren kann aber auch die Überschrift als äußerst gelungen betrachtet werden. So fragt sich der Zuhörer gespannt wie dieser „Kapitalismus nach der Krise“ denn nun aussehen könnte, was sich verändert haben wird und was sich aus Sicht eines Liberalen verändern muss. Doch dann wird man Opfer der brillanten Kontinuität eines unnachahmlichen Herrn Bhagwati.
Bereits mit dem schlichten und zugleich weitläufigen Titel Capitalism after Crisis weist er gekonnt auf zwei Dinge hin, die niemand bislang so klar gesehen hat. Erstens, die Krise ist vorbei und war ohnehin nur ein kurzes „Luftholen“ aller Beteiligten vor dem nächsten Gipfelsturm. Und zweitens, der heutige Kapitalismus ist genau wie der Kapitalismus vor der Krise – eine phantastische Wohlfahrtsmaschine. Punkt.
Was soll man sagen? Natürlich liegt der Mann in gewisser Hinsicht richtig – selbst aus einer europäischen Perspektive. Immerhin ist für die Pleite der Griechen ja nicht die Finanzmarktkrise ursächlich, sondern deren chronisches Defizitspending. Der Finanzkapitalismus hat es sogar möglich gemacht, dass derlei unsolide wirtschaftenden Gesellschaften über eine so lange Zeit mit Kapital versorgt wurden!? Die Krise des Kapitalismus, d.h. die Finanzkrise der Jahre 2007 und 2008, ist längst vorüber. Und der Kapitalismus von heute? Der Kapitalismus befindet sich in perfekter Kontinuität zu den vergangenen 20 Jahren. Ein Traum also.
Aus Europäischer Sicht ist weiterhin bemerkenswert, dass Bhagwati selbst die ganze Sache auch zum Anlass nimmt, einfach gut drauf zu sein. Sicher könne man hier und da etwas an den Institutionen schrauben, im großen und Ganzen läuft die Sache aber wie geschmiert — so das Credo. Und auch mit den Normen und Werten — etwa im Finanzsektor — sei doch alles in bester natürlicher Ordnung, dies sage Ihm sein Gefühl. So sei die Moral der Menschen doch vielmehr von der Literatur, die sie im Jugendalter gelesen haben, oder früheren Kirchgängen geprägt als von der jeweiligen Arbeitswelt und ihren Regeln. Eine zugegebenermaßen zielstrebige Beobachtung. Es lebe der belesene indische Banker!
Um seine Thesen zu untermauern, verwendet der Professor — ganz in amerikanischer Manier — den größten Pinsel, den er im Reisegepäck hat. Markets, Trade, Openess — ole! Government, Regulation, Taxes — pfui! Dabei scheint es ihm vollkommen egal zu sein, dass die Mehrzahl des Publikums das Grundstudium der Ökonomie erfolgreich durchlaufen hat. Nach dem alten Motto, nur wer zuspitzt wird gehört, wiederholt der mehr als respektable Inder die Lehren seines Lebens. Und natürlich darf es nie an Späßen fehlen. „If you call me a Neoliberal, I call you a Neanderthalian“ begegne er regelmäßig Globalisierungskritikern, um dem inzwischen bärtigen Vorwurf des Neoliberalismus auszuweichen. Man müsse vielmehr genau über die einzelnen politischen Maßnahmen diskutieren als einfachen ideologischen Mustern zu folgen, so Bhagwati um daraufhin Sätze zu sagen wie: „What is economic openness? Just open the window and let in some fresh air!“ oder „Capitalism is Iike pornography — you can’t define exactly what it is!“. Spätestens an diesem Punkt hat er sich wieder mit dem Publikum versöhnt. Zwar hat man ökonomisch nichts hinzugelernt, aber zum schmunzeln hat es allemal gereicht. Und auch der Bruch mit der schönen Tradition im Anschluss ein Glas Wein auf Kosten der Honoratioren zu sich zu nehmen, um die heißesten Thesen zu diskutieren, ist ohne weiteres hinzunehmen — die Lehrbücher des 20. Jahrhunderts sind bereits geschrieben, da gibt es nichts zu rütteln.